Kapitel 9

1.6K 60 0
                                    

A  D  E  L  I  N  E

„Und deine Familie... wo ist sie?", führt er seine Befragung wieder und ich fasse es nicht, dass er abermals mit dem Thema anfängt. Er weiß doch, dass ich seit drei Jahren alleine in San Francisco wohne. Seufzend blicke ich ihn ganz vorsichtig in die Augen, versuche das Gehämmer in mein Kopf zu verdrängen und es ihn einigermaßen erneut zu erklären.

„Ich habe seit drei Jahren mit meiner Familie nichts zutun.", spreche ich ganz leise und langsam. Ich schluchze und wische mir meine Tränen, während er seine schön geformten Augenbrauen zusammenzieht. Obwohl ich es ihn schonmal gesagt hatte, scheint er wieder überrascht zu sein. Oder vielleicht hat er es bei dem ersten Mal nicht richtig realisiert gehabt.

„Wieso?", fragt er und stützt seine Arme auf seine Knie, lässt seine Augen jedoch keine Sekunde von mir ab. Erst jetzt sehe ich die erstaunliche Ähnlichkeit zu seinem angsteinflößenden Bruder. Wobei Liam aber eine gewisse Wärme und Ruhe ausstrahlt und man sich einigermaßen beruhigt, wenn man ihn in die grauen leuchtenden Augen blickt.

Seine Neugier ist allerdings nicht zu bremsen und dies lässt mich nervös werden. Ich fange an mit meinem Bein zu wippen und leicht beiße ich mir schwach auf meine Lippen. Meine Tränen sind schon auf meine warmen Wangen getrocknet und ich versuche meine Nervosität einfach zu überspielen.

„Es ist... kompliziert.", gebe ich immer noch leise und brüchig von mir und wieder den Tränen nahe.

Nicht weinen Adeline!

Wie ich sehe, reicht es ihn aber nicht als Antwort, denn direkt danach folgt die nächste Frage. „Wieso bist du gegangen? Erkläre es mir."

„Ich gehöre da nicht hin.", traue ich mich nun es endlich auszusprechen. „Und das werde ich auch nie", füge ich hinzu. Diesmal ohne Angst und mit etwas stärke in der Stimme.

Liam scheint nicht so verwirrt zu sein. Im Gegenteil, er sieht so aus, als hätte er so eine Antwort schon erwartet. Seine Augen mustern mich weiterhin und sein Atem wurde etwas lauter. Doch bei mir regt sich rein gar nichts. Im Gegenteil, ich spüre eine innerliche Ruhe. Eine tiefe Befriedigung, die mich seufzen lässt und für ein kurzen Moment schließe ich meine Lider. „Was ist mit Ethan?"

Ethan

Mein Herz fängt an schneller zu schlagen, als ich den Namen meines geliebten Bruders höre. Ich wundere mich gar nicht mehr, woher er wieder diese Information hat und den Namen meines Bruders kennt. Stattdessen wird mein Blick weicher und auch trauriger.

Ich habe ihn vermisst...

Ethan war mein großer Bruder und mein Stand in dieser Familie. Er war der einzige, der mich wirklich liebte und zu mir stand, egal was war. Das dachte ich zumindest, doch plötzlich ging er fort und ließ mich alleine. Er verließ mich ohne jeglichen Abschied. Er war von ein auf den anderen Tag weg. Nachdem dann meine einzige Stütze in dieser Welt mich verlassen hat, bin ich wenige Monate danach ebenfalls gegangen.

Es interessierte jedoch keinen von ihnen. Bis heute schert sich keiner darum. Einige Tage nach meinem verschwinden, sah ich eine Zeitung auf der folgendes stand: Adeline Morgan, 19 Jahre, zieht nach San Francisco um Literaturwissenschaften zu studieren...

Ich fand es traurig, allerdings auch verdammt lustig zu gleich. Es schien so, als hätten sie auf diesen Tag gewartet, wo ich meine Taschen packe und verschwinde.

F E A R Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt