Kapitel 30

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A D E L I N E

Wie erstarrt sitze ich noch auf den selben Fleck, an dem mich Aiden vor lange Stunden zurückgelassen hatte. Meine Knie sind eng an meinem Oberkörper gepresst und ich halte sie mit meinen Armen umschlungen. Die Sonne war schon auf, doch ich bekam nicht mit, wann sie rauskam, denn ich war ganz wo anders mit meinen Gedanken. Nachdem mich Aiden alleine gelassen hatte, habe ich mich keinen Millimeter gerührt. Ich habe nur leise vor mich hin geweint und versucht die abscheulichen Gefühle in mir runterzuschlucken. Komischerweise kam meine Angst oder die Panik nicht wieder zurück. Das einzige, was mich hier so bewegungslos sitzen lässt, sind Aiden's grauenvolle Worte und meine Furcht ihn gegenüber, die wieder zurück war. Die Frage, wie ich ihn bei mir haben wollte und wie meine Angst zu ihn plötzlich verschwunden war, kann ich mir nicht beantworten. Allerdings will ich diese Antwort auch gar nicht wissen, denn nachdem was er gesagt hat, spielt es keine Rolle mehr.
Ich erinnere mich an Sophias Worte von gestern.

„Er wird nicht zulassen, dass es dir schlecht geht, das verspreche ich dir."

Er hatte voll und ganz recht, denn ich weiß, dass so wie er mich aus dem Loch rausgeholt hatte, er mich jederzeit wieder reinwerfen kann und es mir wahrscheinlich noch schlimmer ergehen wird. Doch eine Sache versuche ich dennoch zu verstehen.
Wieso zum Teufel hat er mir geholfen, wenn er mich doch so sehr verabscheut. Er gibt mir das Gefühl von damals, als wäre ich ein Niemand. Ein Haufen Elend, das man benutzt und schikaniert, wie es einem nach Lust und Laune passt. Wieso rettet er mich dann aus meiner schlimmsten Situation, wenn er mich gleich danach wieder auf den Boden krachen lässt. Aber abgesehen von dem allem, lassen seine Augen meine Gedanken nicht ruhen. Sie tauchen immer wieder vor mir auf, so als würden sie mir sagen wollen, dass ich sie nicht vergessen darf. Ich soll nicht vergessen, wie sie mir voller Sorge entgegenblickten, als ich keine Luft bekam und Aiden mich festhielt, als würde ich gleich zusammenbrechen. Die Sorge, die Panik und der Schock, auch das Bedauern, welches sich in seinem wunderschön hellen, dennoch endlos dunklen Farbverlauf widerspiegelten, lassen mich verwirrt aufschnauben. Denn es passt kein bisschen zu seinen Worten, die wie Gift auf mich wirken. Es ist, als würde er mich überzeugen wollen, während seine Augen mir beweisen wollen, dass er lügt.
Allerdings glaube ich ihn blind, bei dem, was er gesagt hat. Aiden hasst mich. Seit der ersten Sekunde an, in der er mich gesehen hat. So gerne würde ich jedoch wissen wollen, was ich gemacht habe, dass er so eine Abscheulichkeit mir gegenüber verspürt. Schließlich bin ich gegen meinen Willen hier. Ich erinnere mich, dass Aiden meine Familie heute eingeladen hat und wir am Strand grillen wollen, da wohl gutes Wetter ist. Doch die Kraft dafür aufzustehen und mich fertig zu machen, um mich am Ende des Tages heulend in das Zimmer zu verstecken und mich an meine schlimmsten Erinnerungen zu erinnern, habe ich echt nicht.
Ich weite die Augen, als ich den Schlüssel an meiner Tür höre und halte automatisch meinen Atem an. Ich will Aiden nicht in meine Nähe haben. Nicht mehr... Meine Knie ziehe ich noch mehr an mich ran, während ich meine Hände zu Fäusten ballen will, doch der Verband hindert mich daran. Kurz schaue ich auf den weißen Stoff, der um meine Hände gewickelt ist und dann auf den Boden. Dabei lausche ich, wie die Tür aufgeht und gleich danach seine schweren Schritte im Zimmer ertönen. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und ich frage mich bibbernd, ob er mich nun zusammenschreien wird, weil ich mich noch nicht fertig gemacht habe.
Aiden kommt vor mir zum stehen und ich schaue wie erstarrt auf seine schwarzen Latschen, mit der Angst zu ihn aufzuschauen. „Nimm", erklingt seine raue Stimme im Raum, die etwas verschlafen klingt. Wahrscheinlich ist er selber grade erst aufgewacht. Schluckend schiele ich mit meinen Augen zu ihn, stoppe allerdings schon bei dem Telefon, welches er mir entgegenstreckt. Ich nehme ihn leicht zitternd das Telefon aus der Hand und lese „Sophia" auf dem Display. Ein wohliges Gefühl breitet sich in mir aus und ich lege es hastig an meinem Ohr, dabei widme ich Aiden, der einige Schritte zurückgegangen ist und mich nun genauestens beobachtet, keinen einzigen Blick. „Hallo?", spreche ich beinahe schon verzweifelt und wieder mal den Tränen nahe. Gott, ich fühle mich so erschöpft und brauche tatsächlich Schlaf, merke ich nun. Das kurze Kleid, das ich trage ist über die Nacht ein wenig nach oben gerutscht, weshalb ich versuche es unauffällig hochzuziehen, da ich seine Augen unangenehm auf meine Haut brennen spüre. „Adeline? Wie geht es dir?", ruft Sophia und klingt ziemlich besorgt. „Was ist denn passiert diese Nacht? Was war los mit dir? Ist alles gut?", führt sie fort und bombardiert mich mit fragen. Aiden hatte es ihr wohl erzählt. Ob er ihr auch erzählt hat, dass er mich im Dunkeln mit meinen größten Ängsten zurückgelassen hatte?
„Ja, alles ist gut. Ich komme schon klar", flüstere ich monoton mit keinem Hauch von Emotionen, was eigentlich nicht typisch für mich ist. Doch grade weiß ich nicht, wie ich Handel soll. Ich bin sauer, traurig, nervös, ängstlich, enttäuscht und verzweifelt. All diese Emotionen sind zu viel für mich und ich weiß wirklich nicht, wie ich sie einsetzen soll. „Nein, nichts ist gut und du kommst auch nicht klar. Erzähl mir was passiert ist gestern. Du redest doch sonst auch immer mit mir." Ihre Stimme ist fest, dennoch fürsorglich. Am liebsten würde ich ihr antworten: „Ja, ich rede sonst auch immer mit dir, aber nicht, wenn ein Aiden im Raum steht." Meine Güte...
Ich schließe meine Lider und seufze kurz, denn so wie ich Sophia bis jetzt kenne, wird sie nicht loslassen. Eigentlich brauche ich mich grundsätzlich gar nicht schämen, denn schließlich hat Aiden schon gestern alles mitbekommen. Doch ich denke, ich will ihn meine Schwäche nicht erneut zeigen.
Als ich einige Male blinzle und mir dann durch die Haare fahre, sehe ich von Augenwinkel, wie Aiden die Arme verkreuzt. „Alte Erinnerungen sind hochgekommen.", beginne ich und zwinge mich, nicht daran zu denken. Ich dränge die Bilder, die wieder auftauchen bei Seite und spreche mir innerlich Mut zu. „Sie haben mich eingeholt und ich bin genau da gelandet, wo ich vor zehn Jahren war. Ich konnte weder atmen noch hatte jemand mein Hilferuf gehört. All das hat sich nachts wiederholt.", erkläre ich ihr und nun hört man die Trauer, sowie auch die Verzweiflung, aus meiner bebenden Stimme heraus. Sophia sagt für eine Weile nichts und es herrscht eine komische Stille, in der ich nur meinen mittlerweile schon schweren Kopf sinken lasse. „Aber Aiden war doch bei dir oder?", fragt sie und ich nicke so, als würde sie mich sehen.
„Ja, er war der erste, der mich da rausgeholt hat.", spreche ich meine Gedanken unbewusst laut aus und blende es komplett aus, dass er eigentlich vor mir steht und höchstwahrscheinlich weiß, dass ich über ihn spreche. „Oh Gott sei dank, ich meinte ihn er soll dich nicht alleine lassen. Es sind sowieso nur drei Tage und dann kommst du wieder. Ich bin auch in einer Woche wieder da.", erzählt sie mir und ich kann ihr Lächeln, welches sie bestimmt gerade auf ihre Lippen trägt, raushören. Ich antworte ihr allerdings nicht, stattdessen nicke ich wieder so, als würde sie mich sehen. „Los, mach dich fertig und ich sage Aiden, dass das eure letzte Verabredung mit ihnen war. Ich denke, du hast schon genug.", spricht sie weiter und ich hoffe so sehr, dass es auch so sein wird. Denn ich habe wirklich genug und kann das nicht mehr mitmachen. Doch, ob Aiden auf sie hört, ist eine andere Sache.

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