Kapitel 63

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A  D  E  L  I  N  E

„Sie saß alleine dort so wie ich, also habe ich mich zu ihr gesetzt und wir haben eine Weile geredet. Ab dem Tag haben wir uns öfter getroffen und so führte eins zum anderen."

Gespannt höre ich ihn zu und setze mich in ein Schneidersitz. Meine Hände knete ich weiterhin nervös. „Wann war das?"

„Vor vier Jahren.", antwortet er mir und sieht mir in die Augen. Ein Jahr bevor sie starb...
Ich nicke und signalisiere ihn, dass er fortfahren kann.

Ethan räuspert sich. „Eines Tages haben wir überlegt von San Francisco abzuhauen. Irgendwo, wo uns keiner kannte und wo wir einen Neuanfang machen konnten, wo es nur uns beide gab. Rose war auch dafür, doch als sie es ihrem Bruder erzählte, änderte sich alles."

Ein stechender Schmerz macht sich in meinem Herzen breit und ich halte unbewusst den Atem an. Ethan hatte so oder so vor mich zu verlassen. Er wollte tatsächlich gehen und hat mir nicht einmal etwas davon erzählt.

Unauffällig blinzle ich die aufkommenden Tränen weg und blicke zur Sicherheit runter zu meinen Händen. Wow... schmerzhaft ist nicht ansatzweise das, was es gerade tatsächlich ist.

„Ich wusste nicht, dass Aiden ihr Bruder ist. Sie hatte mir nie erzählt, dass er adoptiert wurde und nur sie den Nachnamen Nolan trägt. Ebenso bin ich ihm nie begegnet."

Okey, also wusste er nicht, dass Aiden zur Harris Familie gehört. Das erklärt, weshalb Mom und Daniel Aiden so herzlich empfingen, statt ihn abzuschießen.

„Jedenfalls hatten Rose und ich uns auf einen Datum geeignet, an dem wir nach Paris fliegen wollten. Alles war geplant, aber ich hatte keine Ahnung, dass ihr Bruder immer noch nicht davon wusste. Ein Monat vor dem Flug war ich mit ein paar Freunden unterwegs und wir hatten... echt viel getrunken." Seine Stimme wird rauer, genauso wie das Gestotter immer deutlicher wird.

„Sie rief mich an und erzählte mir, dass ihr Bruder sie nicht gehen lassen wollte und ich bin ausgetickt. Ich habe nicht verstanden, weshalb sie so viel wert darauf legte, was ihr Bruder sagt. Sie war erwachsen, verdammt.", erzählt er weiter und zum Ende hin spricht die Wut aus ihm. Er schüttelt seinen Kopf und kneift seine Augen für einige Sekunden zusammen während er ausatmet.

Meine Nervosität hat sich nicht beruhigt. Im Gegenteil... je länger er um den heißen Brei redet, desto mehr steigt die Furcht in mir. Die Furcht vor der Wahrheit.

„Ich war sauer. Richtig sauer.", flüstert er beinahe schuldig. Die weiche Seite in mir schreit mich innerlich an und bettelt darum, ihn wenigstens eine tröstliche Hand auf die Schulter zu legen, doch die verletzte Seite ist viel lauter. Sehr viel lauter.

„Ich bin zu ihr gefahren, hab sie angeschrien und ihr Sachen an den Kopf geworfen, die meinen Mund niemals hätten verlassen dürfen. An die Hälfte meines Geschrei kann ich mich nicht einmal erinnern, aber ich weiß, dass es grausame Sachen waren... so besoffen war ich."

Stille.

„Irgendwann...", setzt er an, bekommt allerdings kein weiteres Wort über die Lippen. Eins, zwei Male versucht Ethan die richtigen Sätze zu bilden, bis er frustriert seufzt. „Wir haben uns gestritten und irgendwann habe ich... ich habe die Kontrolle verloren und sie geschubst.".

Seine blutroten Augen versuchen vor mir zu flüchten. Sie schauen überallhin, nur nicht in mein Gesicht. Und womöglich ist es besser so. Denn ich kann nicht garantieren, was passieren wird, wenn er mich anschaut. Allein durch seine Worte, wird mir der Atem Sekunde für Sekunde abgeschnürt. Was wird passieren, wenn ich seinen Augen begegne?

„Weiter?", hacke ich nach. Das war ja wohl nicht das Ende der Geschichte.

„Ich habe sie geschubst, Adeline.", wiederholt er mit Traurigkeit umhüllt, als hätte ich es vorhin nicht schon gehört. „Wie oder wo hast du sie geschubst, Ethan? Rede Klartext.", werde ich lauter und bemerke es erst, als sich meine Hände von alleine zu Fäusten ballen.

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