Kapitel 29

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A D E L I N E

Er hatte recht, nur werde ich sicherlich nicht schlafen können. Es war schon immer so. Nach meinen Anfällen schlief ich meistens zwei bis drei Tage nicht und ich denke, dass es heute nicht anders kommen wird. Ich schaue runter auf meine Hände und hebe erstaunt die Augenbrauen. Er hat sie in Verband eingewickelt, was eigentlich nicht sein musste, denn ich machte es auch nie. Nun ist es das zweite mal, dass er sich um meine Wunden kümmert und ich frage mich ehrlich, wieso er das macht. Aiden scheint für mich so kompliziert zu sein. Mir kommt es so vor, als wäre er gezwungen so gemein und böse zu sein und in solchen Fällen, da zeigt er mir sein wahres Ich. Ein fürsorglicher, hilfsbereiter und auf komischerweise auch liebevoller Aiden. Allerdings versucht er es trotzdem zu verstecken. Er versucht hart und undurchdringlich vor mir zu sein, doch er weiß nicht, dass seine Augen mir alles verraten. Dass während seine Gesichtszüge finster sind, seine Augen mir die Wahrheit entgegenfunkeln. Bedauern, Sorge, Panik...
So gerne würde ich ihn mal fragen wollen, warum er das macht. Warum tut er das? Warum hilft er mir aus meinen schlimmsten Situationen und sitzt gerade neben mir, obwohl er eigentlich für all dem hier verantwortlich ist. Ich gebe ihn nicht die Schuld für das, was eben geschehen ist, nein. Schließlich verfolgen mich meine Ängste ganze zehn Jahre und sie haben nicht ansatzweise etwas mit Aiden zutun. Sondern dafür, dass es mir nochmal geschieht. Ich hatte es schon so lange hinter mir und dank ihn befinde ich mich erneut dadrin. Und ich befürchte, dass ich da nie wieder rauskommen werde.
Ich erschaudere augenblicklich, als ich Aiden's warme Finger an meinen Füßen spüre und schaue panisch von meinen Händen auf. Er sieht nicht zu mir, sondern versucht konzentriert mich aus diesen High heels zu befreien. Wahrscheinlich hat er gemerkt, dass ich im Moment zu so gut wie nichts fähig bin. Am liebsten würde ich mein Gesicht jetzt in ein Kissen vergraben und losheulen, so wie ich es immer tat. Doch ich muss ehrlich zugeben, so fühlt es sich viel besser an. Die Angst, die ich normalerweise sonst noch tragen würde, ist weg. Die Panik hat sich ebenfalls aufgelöst. Es ist nur die Nervosität, die eine große Rolle im Moment spielt und ich nehme an, dass es wegen Aiden's Anwesenheit ist. Jedoch macht es mir nichts aus. Es ist tausendmal angenehmer, als alleine ängstlich und zitternd im Bett zu liegen. Und obwohl ich es immer noch kaum glauben kann, dass er, Aiden Harris, mir meine Angst genommen hat, will ich gar nicht mehr darüber nachdenken. Er hat mir meine Schuhe ausgezogen und sie auf den Boden gestellt, dann wandernd seine Augen mein Körper entlang, bis er mich ansieht. Kurz scheint er zu grübeln, ehe er wegschaut und aufsteht. Prompt versteife ich mich und spüre die Panik in mir wieder aufkommen. Panik, weil ich befürchte, dass wenn er mich alleine lässt, ich wieder in dieses Loch verfalle und er mich möglicherweise dann doch nicht mehr rausbekommt. Mit trüben Augen verfolge ich seine Schritte und atme erleichtert aus, als er doch noch an dem Schrank stehen bleibt. Er greift nach ein paar Sachen und kommt gezielt wieder auf mich zu, widmet mir dennoch weiterhin keinen Blick. Aiden legt mir die Klamotten auf das Bett und steuert auf die Terrasse zu, die sich hinter der Schiebetür befindet. Er öffnet sie ein wenig, da er bestimmt bemerkt hat, wie heiß mir ist und wie schweißgebadet ich bin. „Zieh dich um und lege dich danach hin. Morgen kannst du mit Sophia reden.", sagt er monoton und befehlend. Er hat wieder seine kalte und distanzierende Miene zum Vorschein gebracht, die mir eine unangenehme Gänsehaut verpasst und ich muss mich zusammenreißen, die Tränen nicht erneut laufen zu lassen. Doch als ich nun sehe, wie er auf die Tür zusteuert, kann ich nicht anders als zu wimmern, während meine Nasenwurzeln zu brennen beginnen und die erste Träne mir entflieht. Ich kann meine Gefühle kaum zurückhalten und auch, wenn Aiden der letzte Mensch wäre, mit dem ich diese Gefühle gerne teilen würde, brauche ich es jetzt. Ich kann nicht damit alleine bleiben. Nicht jetzt und nicht nachdem ich zum ersten Mal da rausgeholt wurde. Ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn er mich jetzt alleine damit lässt. Ehrlich gesagt fürchte ich mich auch davor es zu wissen. Aiden hält in seiner Bewegung inne und bleibt einen Moment so stehen, als würde er überlegen, ob er sich zu mir umdrehen oder einfach weiterlaufen soll. Nach einigen Sekunden atme ich dann beruhigt aus, während ich ihn aus glasigen Augen beobachte, wie er sich umdreht und seine perfekt geformten Augenbrauen hebt. Ich beiße mir auf meine Unterlippe und weiß eigentlich gar nicht, was ich machen oder sagen soll. Schließlich kann ich schwer zugeben, dass ich ihn hier haben will. Dennoch will ich nicht, dass er geht.
Verdammt, Adeline, sei einmal mutig!
Aiden mustert mich und da seine Geduld nicht gerade zu seinen Stärken zählt, will er grade etwas sagen, doch da komme ich ihn zuvor.
„Ich kann jetzt nicht... alleine bleiben.", spreche ich und spüre, wie mir die Röte auf Anhieb ins Gesicht schießt. Worauf ich mein Gesicht senke, damit er es nicht bemerkt. Sekunden vergehen in denen es still ist und er sich kein Millimeter rührt. Mein Herzschlag nimmt abermals einen höheren Tempo an und ich gerate leicht ins schwitzen.
Meine Güte, es ist nichts wofür man sich schämen muss! „Warum?", fragt Aiden plötzlich und bricht somit die angespannte Stille. Einige Male blinzle ich hintereinander und versuche panisch nach einer vernünftigen Antwort zu suchen. Doch je mehr ich mich anstrenge und nach den passenden Wörtern suche, desto schlimmer wird es und es entsteht ein reines Chaos in meinem Kopf. Was soll ich ihn denn nur antworten? Dass ich Angst habe wieder in dieses grauenvolle Loch zu fallen?
Nein, das kann ich nicht. Er würde es nicht verstehen. Keiner versteht es und erst recht kein Aiden Harris, den es sowieso nicht interessiert.
Was habe ich mir nur dabei gedacht? Haben mich meine Emotionen und Ängste wirklich so blind gemacht, dass ich ihn gerade bei mir haben wollte?
Meine Tränen wische ich mit meiner Rückhand weg und mit der anderen Hand greife ich nach den Klamotten, während ich langsam versuche aufzustehen. „Egal.. vergiss es", flüstere ich und widme ihn keinen Blick, dabei komme ich mit meinen wackeligen Beinen auf den Boden und will Richtung Badezimmer laufen, als sich schlagartig alles zu drehen beginnt. Ich kneife fest meine Augen zu und bleibe eine Sekunde stehen, um gleich darauf mein Gleichgewicht zu verlieren und in Aiden's Armen zu landen. Mit schnellem Atem und dröhnenden Kopf öffne ich meine Lider und blicke gleich darauf in seine honigbraunen Augen.
Sie sind weder weich, noch fürsorglich wie davor. Eher bedrohend und neugierig. „Wieso, habe ich dich gefragt" Aiden spricht gefährlich ruhig und verstärkt seinen Griff um mich. Den Anschein mich loszulassen macht er allerdings nicht, weshalb die Panik in mir aufkommt und alle Alarme in meinem Kopf zu läuten beginnen. Sein Geruch steigt mir in meine Nase und sein Atem, der ruhig geht, trifft immer wieder auf meine heiße Haut. Mein Körper ist verdammt schwach und es fühlt sich so an, als wäre ich nur ein hilfloses kleines Reh, welches in den Händen des Großen und gefährlichen Löwen getappt ist. Unbemerkt verschwimmt meine Sicht und ich kann nicht unterscheiden, ob es wegen Aiden und seiner angsteinflößenden Nähe ist oder weil ich nicht weiß, was ich ihn antworten soll.
Seine Augen sind so hell und strahlen mich förmlich an, doch die Dunkelheit in ihnen ist so verteufelt tief und scheint mir unendlich zu sein. Trotz dessen habe ich keine Angst vor ihnen. Seine Augen sind die einzigen, vor denen ich keinerlei Angst habe. Ich könnte stundenlang zu ihnen hinaufschauen und auch wenn sie mich ab und zu fürchterlich nervös machen, weiß ich dennoch, dass sie mir die Wahrheit sagen. „I-ich...", beginne ich stotternd und wechsle vom einen zum anderen Bein. Seine Hände bohren sich in meine Taille und bringt die Stelle auf Anhieb zum Kribbeln. „habe angst", beende ich hauchend meinen Satz, während ich mit den Tränen kämpfe. Aiden hebt geschickt eine Braue in die Höhe und mustert mein Gesicht genauestens, allerdings zieht er keine Miene und seine Augen sprechen diesmal auch nicht zu mir. „Und ich soll dir die Angst nehmen oder was?" Seine Frage klingt ernst, dennoch mit einem großen Haufen Belustigung begleitet, was ich voll und ganz verstehe. Ich kann es mir nämlich auch nicht erklären. Es ist kein Geheimnis, dass ich mich vor Aiden seit der ersten Sekunde an fürchte und das weiß er genauso gut wie ich. Und auch bis zu dem Moment habe ich Angst vor ihn, doch gerade ist etwas anders. Er ist anders. Oder vielleicht bin ich anders? Zögernd beiße ich mir auf meine Unterlippe, was er still beobachtet. „Du... du hast mich da rausgeholt.", stammle ich nun zusammen, wobei meine Stimme langsam zu Brüchen geht und er sich bestimmt anstrengen muss, um mich zu verstehen. Doch Aiden's Gesichtszüge und Körperhaltung bleiben eins zu eins gleich. Als hätte ich nichts gesagt und als würde er immer noch gespannt auf die Antwort warten. Hektisch suche ich nach irgendeinem Hinweis in seinen Augen, denn seine Finger bohren sich immer tiefer in meine Seiten, sodass es bedächtig zu schmerzen beginnt. Er beißt sich fest auf die Zähne, was ich klar erkenne, denn sein Kiefer spannt sich augenblicklich an und wird härter.
„Genauso, wie ich dich da rausgeholt habe, Adeline, kann ich dich ganz einfach und zu jeder Zeit wieder reinschmeißen. Sei nicht naiv, denn das Loch, in das ich dich werfen kann, wird noch viel dunkler sein, als es davor schon war." Mit diesen Worten lässt er abrupt von mir los und dreht sich mit einer finsteren Miene zur Tür um, die er gleich hinter sich knallen lässt und abschließt. Erst nachdem ich mein Gleichgewicht erneut nicht halten kann und ich schmerzhaft Bekanntschaft mit dem Boden mache, bemerke ich die Tränen, die wieder einmal ausgebrochen sind und mir die Wange runterrennen. Ich fühle mich so verarscht und so verdammt dumm, dass ich mich beinahe dafür schäme. Wie konnte ich glauben, dass er mir tatsächlich helfen wollte? Wie konnte ich glauben, dass Aiden mir meine Angst nehmen würde?
Wie konnte ich auch nur für eine Sekunde glauben, dass er gut ist?

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