Kapitel 51

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Seufzend lege ich die Stiftspitze auf dem Blatt und beginne ohne viel Überlegung loszuzeichnen. Ob es später in den Müll oder meine Zeichensammlung landen wird, dies wird sich noch herausstellen.

Ich lausche dem Regen, welcher ab und zu von lauten Donnern begleitet wird. Der Wind heult und lässt die Blätter der Bäume rascheln. Meine Hand bewegt sich ohne zu wissen wohin und es scheint so, als würde das düstere Wetter Erinnerungen rauskamen, die ich unbewusst hervorbringe. So, wie als wenn das Blei die Geschichte erzählt. Eine Geschichte, die gar nicht so finster ist, wie ihre Begleitungsmusik.

Verwirrt, dennoch mit einem Schmunzeln auf den Lippen, lasse ich mich führen. Ich lasse mich von meiner Hand und den Klängen der Natur in die alten Erinnerungen führen.

„Los jetzt! Du bist ein Angsthase, Ethan.", klimpere ich mit den Wimpern, während ich die Erdbeeren pflücke, die sich in Mrs. Lenore's Garten befinden. Mein Bruder schüttelt den Kopf, dabei funkelt er mich böse an. „Komm sofort wieder her. Wenn uns jemand sieht, dann kriege ich den ganzen Ärger ab." Ich ignoriere seine wütende Stimme und schließe meine Lider, als die nächste Erdbeere in meinem Mund landet, statt in dem Korb, welcher schon zur Hälfte gefüllt ist. Gott, schmecken die himmlisch! Ethan hat recht. Eigentlich bin ich der Angsthase von uns, doch mit ihn bin ich eine andere Person. Eine mutige und lebendige Person.

Perplex blinzle ich und ziehe meine Hand zurück. Ich könnte meinen plötzlichen Schreck auf den lauten Donner schieben, doch so ist es nicht. Und so gerne ich mich auch selbst anlügen würde, es funktioniert nicht.

Während Ethan in einem dunklen, kühlen Lagerraum gefesselt ist, sitze ich grinsend auf ein gemütliches Bett und zeichne unsere alte Zeit, wie als wäre es das normalste der Welt. Das ist nicht fair.

Für die erste Zeit hatte ich gezweifelt. Ich wollte ihn nicht helfen, da die Vorstellung von Ethan als Mörder in meinem Kopf keine Akzeptanz gefunden hat. Ich wollte mein Gewissen stillen und war wütend, enttäuscht und verdammt ernüchtert. All diese Emotionen machten mich blind und ließen mich vergessen, wer Ethan eigentlich wirklich ist. Er ist meine einzige Familie und ich darf ihn nicht im Stich lassen, egal was er getan haben mag. Ich sollte froh sein, dass er noch am Leben ist.

Die Frage lautet nur... Kann ich ihn überhaupt helfen?

Jeder andere in meiner Situation müsste nicht mal ein paar Sekunden mit diesen Gedanken verbringen und er wüsste die Antwort bereits. Nämlich ein ganz klares "Nein" Doch etwas in mir ist ganz und gar nicht dieser Meinung. Irgendetwas ist sich sicher, dass ich es kann.

Lange starre ich das Blatt an, während ich mich daran erinnere, wie Mrs. Lenore dann tatsächlich aus ihren Haus kam und die alte Dame uns mit einem Stock hinterherrannte. Mir entflieht ein Lachen. Und so vertieft ich in meinen Gedanken bin, habe ich kaum mitbekommen, dass jemand den Raum betreten hat. Erst als ich seine starke Präsenz spüre hebe ich meinen Kopf an.

Ich räuspere mich und drehe das Papier um. So, als hätte er es nicht schon längst gesehen.

Aiden allerdings blickt mir nur in meine Augen und blendet mein nervöses Verhalten völlig aus. Wenn ich mich nicht täusche, dann glaube ich sogar tatsächlich ein Schmunzeln zu erblicken.
Ich setze mich gerade hin.

„Sophia hatte mir bevor sie gegangen ist mitgeteilt, dass du noch nicht gegessen hast.", spricht er, woraufhin ich nicke. „Ich kann etwas bestellen, wenn du magst." Er hebt die Brauen und kommt ein Schritt näher auf mich zu.

Dankend lächle ich leicht, schüttele allerdings meinen Kopf dabei. Ich weiß nicht, ob es an der Erkenntnis von vorhin liegt und das plötzliche Gefühl von Verrat an meinem Bruder oder es Aiden selbst ist, weshalb ich keinen richtigen Ton rauskriege.

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