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Hektisch warf ich die Badezimmertür hinter mir zu, denn hatte nur noch eins im Sinn: Raus!
Raus aus diesem Raum, raus aus dieser Situation, raus aus seiner Nähe.

Mit großen Schritten lief ich in die Küche und stoppte vor dem Spülbecken.
Ich drehte den Hahn auf und spritzte mir das kalte Wasser, das sofort herausgeschossen kam, ins Gesicht und drückte dann meine nassen Hände an meine glühenden Wangen.

Meine Gedanken rasten.
Warum hatten Millie und Sue das nur getan?
Warum hatten sie mir kein Sterbenswörtchen darüber gesagt, was es mit diesem „Beautycase" auf sich hatte?
Hätte ich über den Inhalt Bescheid gewusst, hätte ich es ganz sicher weit weit unten in meiner Reisetasche versteckt und dafür gesorgt, dass mein Patient es nie zu sehen bekommen hätte.

Aber wieso war ich auch so dumm und hatte nicht vorher hineingeschaut?
Ich hatte wirklich geglaubt, darin wäre Make up gewesen, weil ich dieses Etui von Millie als Make up Etui kannte. Wieso hätte ich also von etwas Anderem ausgehen sollen?

Erdbeere, Ananas, Melone, gefühlsecht, extra feucht, federleicht, XXL, genoppt...

Meine Wangen brannten bei den Bildern vor meinen Augen so sehr, dass ich sofort wieder unter den Strahl griff, meine Handinnenflächen erneut mit Wasser füllte und mir die Nässe ein weiteres Mal ins Gesicht spritzte.

Mein Puls musste sich dringend beruhigen und meine Hautfarbe sich neutralisieren.
Ich atmete mehrmals tief ein und wieder aus, versuchte meinen Herzschlag zu normalisieren und trocknete nach einer Weile meine Wangen flüchtig mit einem Küchenkrepp ab.

Seufzend schüttelte ich den Kopf.

Und dann hörte ich, wie sich auf einmal die Badezimmertür öffnete.

Oh nein!

Mein Patient kam aus dem Bad. Seine Schritte hinter mir wurden immer lauter - er kam mir also immer näher.

Mein Herz raste, meine Haut begann wieder zu brennen und ich hielt die Luft an.

Ich schaffte es nicht mich von der Spüle zu entfernen oder umzudrehen.
Extreme Panik vor dem, was nun passieren würde, kam in mir auf. Der Gedanke daran, ihm nach den Ereignissen wieder in die Augen sehen zu müssen, entfachte das größtmögliche Schamgefühl in meinem Innersten.

Doch was hatte ich erwartet? Dass er sich nach meinem Abgang einfach im Bad in Luft aufgelöst hatte, oder verstummt war, oder sein Kurzzeitgedächtnis gelöscht wurde...?
Extrem unwahrscheinlich!

Mit Sicherheit dachte er, meine Erklärungen, warum ich dutzende Gummis mit mir rumschleppte, wären dumme Ausreden gewesen.
Mir ging einfach nicht aus dem Kopf, wie ich mich an seiner Stelle gefühlt und was ich in diesem Moment über mich gedacht hätte.
Und das durfte einfach nicht sein, denn so war ich nicht.
Ich schämte mich so sehr.

Obwohl ich kurz darauf hörte, dass er nun nur wenige Meter hinter mir zum Stehen kam, wagte ich es nicht, mich zu bewegen. Ich stand weiterhin vor dem Becken, stützte meine Hände rechts und links davon ab und hielt den Kopf gesenkt.
Ich kniff die Augen fest zu und hoffte, der Boden unter mir würde sich auftun, mich in sich aufnehmen und nie wieder ausspucken.
Doch das tat er nicht. Natürlich nicht. Er blieb geschlossen. Anders, als der Mund meines Patienten.

Das Blut pulsierte mir mit heftigem Tempo durch alle meine Organe, als ich seine Stimme hinter mir hörte.

„Lynn, hey...", gab er leise von sich und es machte den Eindruck, als wollte er mich mit seiner sanften Stimme beruhigen.
Natürlich hatte er gespürt, wie mich diese Situation aus der Bahn warf - egal wie sehr ich versucht hatte das zu überspielen. Doch seinem Instinkt konnte ich nichts vormachen. Dass er häufig wusste was ich fühlte ohne es ihm sagen zu müssen, war kein Geheimnis für mich. Zu oft hatte er mich schon davon überzeugen können.

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt