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Seine Blicke blieben an meinen Augen heften und bohrten sich tief in mein Innerstes.

Ich versuchte zu deuten was in ihm vorging, doch das blieb erfolglos.

War ihm ein Licht aufgegangen oder tappte er nach meiner Aufklärung weiterhin in Dunklen?

Aufgeregt zog ich meine Brauen zusammen und wartete auf eine Antwort von ihm.


„Scheiße!", fluchte er dann auf einmal und stand mit einem Ruck vom Stuhl auf.

Er fuhr sich durch sein welliges Haar und brachte ein paar Schritte hinter sich, die aber lediglich einen Kreis ergaben.

Mein Patient lief plan- und ziellos durch Küche und Wohnzimmer und ließ dabei abwechselnd seine Finger durch seine Haare und über seine Gesichtszüge gleiten, oder drückte seine Handballen in seine Augenhöhlen.

Er schien mit sich zu ringen und irgendetwas nervenaufreibendes in sich zu bewegen.

Obwohl ich ihn nicht bedrängen wollte, musste ich mich endlich erlösen. Ich musste in Erfahrung bringen, ob mein Patient Mr. Jacobs, den getöteten Polizisten, kannte und warum er minutenlang so angespannt auf- und ablief.

„Was... was ist denn los? Ist dir wieder eingefallen woher du Steven Jacobs kennst?"

Wie auf Knopfdruck blieb mein Patient stehen und sah mich bloß starr an. Dann irgendwann kam er zu mir zurück und setzte sich wieder an den Küchentisch.

Mit einem lautem Seufzen und wippendem Oberschenkel begann er.

„Nein.
Mal wieder lautet meine Antwort ,nein'.
Ich hatte so sehr gehofft, dass ich mich endlich an alles erinnern könnte. Vor allem an das, was in den letzten Monaten in meinem Leben passiert ist, um diesem ganzen Wahnsinn hier endlich ein Ende zu setzen."
Er senkte den Kopf und starrte auf seine Finger, die sich gegenseitig zu kneten begannen.
„Ich erinnere mich an meine Oma und meinen Bruder, an Einiges aus meiner Schulzeit, aber die letzten Jahre sind wie ausgelöscht. Ich habe keinen blassen Schimmer was vorgefallen ist, oder was ich verbrochen habe.
Vielleicht... vielleicht ist es so... so furchtbar, so grausam, dass... dass mein Gehirn mich schützen will und deshalb die Erinnerungen einfach ausblendet.
Was zur Hölle habe ich nur getan Lynn? Was?!"

Mit einem Satz sprang mein Patient wieder auf und setzte seine verzweifelte Lauferei durch das Häuschen seiner Oma fort.

Mein Herz wurde schwer.
Wie schon so oft in den letzten Tagen.

Wieder einmal musste ich mit ansehen, wie schlecht es ihm ging, wie er sich quälte, wie er mit sich und seinem Leben rang, wie er alles in Frage stellte und davon überzeugt war, der schlimmste Mensch auf diesem Planeten zu sein.
Das konnte ich so nicht stehen lassen, denn ich wollte ihm erneut zeigen, dass ich ganz anders über ihn dachte. Ich hatte das Gefühl, ich hätte ein Déjà vu, denn dieser Teufelskreis schien einfach kein Ende zu nehmen.

„Hey", rief ich, lief ihm hinterher, packte ihn an der Schulter und drehte ihn zu mir um.

Als ich ihm in seine erschöpften Augen sehen konnte, knackste mein Herz erneut. Wie er sich selbst behandelte, machte mich nicht nur traurig, sondern auch wütend.

„Hör auf!
Hör endlich auf damit dich fertig zu machen.
Wir wissen es nicht! Wir wissen nicht, was du in den letzten Monaten getan hast, aber ich bin mir so so sicher, dass wir es bald herausfinden werden. Wir haben so viel zusammen erreicht, so viel herausgefunden, so dafür gekämpft.
Du kannst das jetzt nicht aufgeben! Du kannst dich nicht aufgeben!
Du bist kein schlechter Mensch, das weiß ich, das spüre ich. Das spüre ich in meinem Bauch, in meinem Kopf und in meinem Herzen."

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt