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Völlig erschöpft ließ ich mich auf den Fahrersitz von Sues Auto sinken und versuchte durch kräftiges Reiben meiner Magengegend meine Bauchschmerzen in den Griff zu bekommen.

Ein ekelhafter Mix aus Übelkeit, Trauer, Wut, Kraftlosigkeit und Verzweiflung überkam mich und ich konnte die Tränen, die mir plötzlich in die Augen stiegen, nicht zurückhalten.

Zuerst wischte ich die herunterkullernden Tropfen immer und immer wieder mit meinen Fingern weg, doch es wurden mehr und mehr und ich konnte es nicht verhindern, dass mir das salzige Wasser irgendwann in Strömen über meine Wangen lief und ich begann, heftig zu schluchzen, während ich mein Gesicht in meinen Händen vergrub.

In meinem Hirn herrschte Chaos.

Wie konnte sein eigener Bruder nur so kalt sein? Warum interessierte es Connor überhaupt nicht, was mit Kieran passiert war? Weshalb wollte er mich nichtmal eine Minute anhören? In den beiden floss doch das gleiche Blut...

Ich verstand einfach nicht, warum alle den Menschen zu hassen schienen, den ich so sehr liebte.

Er hatte mir so viel Wärme geschenkt, so viel Verständnis, Zuneigung und Vertrauen. Ich fühlte mich so wohl in seiner Nähe und konnte nicht begreifen, dass sein eigener Bruder sich keineswegs für sein Befinden interessierte.

Ich war einfach nur hilflos.

Doch auf einmal erschrak ich mich tierisch, als es wie aus dem Nichts an mein Fenster klopfte.

Mit verquollen Augen und verspannten Gesichtszügen sah ich hoch und erkannte Connor.

Er öffnete die Fahrertür, bevor ich reagieren konnte.

„Komm rein und erzähl es mir."

_

Eine Viertelstunde später saß ich an Connors Esstisch und hatte eine heiße Tasse Tee vor mir stehen.

Er hatte mich durch sein Küchenfenster schluchzen hören und dann seine Meinung geändert. Er wollte mich erzählen lassen, denn er konnte mir meinen Schmerz ansehen und - wie er meinte - „weinende Mädchen nicht einfach so gehen lassen".


Conner setzte sich mir gegenüber und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück.

„Also, wenn ich dir in irgendeiner Weise helfen soll, dann muss ich die ganze Wahrheit kennen. Jede Einzelheit, jedes Detail. Egal wie viel Scheiße mein Bruder dieses Mal wieder angerichtet hat, verschon mich nicht und pack alles aus."

Das ließ mich schwer schlucken.

Kieran hatte anscheinend wirklich so Einiges auf dem Kerbholz und Connor wollte nun von mir hören, welche illegalen Taten in den letzten Wochen noch dazugekommen waren.

So schwer es mir auch fiel die ganze Geschichte noch einmal aufzurollen, ich wusste, dass ich es tun musste, um endlich alles auflösen zu können und die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Ich wollte endlich wissen wer er war und was er in seiner Vergangenheit alles getan und seine Familie damit dazu gebracht hatte, ihn zu verstoßen.

Also begann ich.

„Okay. Ich erzähle dir, was in den letzten Wochen alles passiert ist. Aber dann möchte ich Antworten auf meine Fragen."

Connor nickte, löste seine verschränkten Arme vor seiner Brust wieder und ich spürte, dass hinter seiner harten Schale und der steinernen Fassade vermutlich ein viel weicherer Kern schlummerte.

Noch einmal holte ich tief Luft, bevor ich mit pochendem Herzen ansetzte.

Jetzt oder nie...

„Gut, also... ich bin Lynn Greenwood, 24 und Krankenschwester im St. George's Hospital, circa eine Stunde von hier entfernt.

Ich habe in der Nacht, in der dein Bruder eingeliefert wurde, in der Notaufnahme gearbeitet. Er wurde bei einem Raubüberfall verwundet, doch niemand wusste, welche Rolle er dabei gespielt hatte. Er kam zu uns, hatte Schussverletzungen und war nicht ansprechbar. Sein Herz versagte dann während der OP und wir mussten ihn wiederbeleben..."

Und dann erzählte ich Kierans Bruder die ganze Geschichte. Vom Anfang bis zum Ende - ohne etwas auszulassen oder zu beschönigen.
Lediglich das, was emotional und körperlich zwischen ihm und mir passiert war, verschwieg ich, doch ich war mir sicher, dass Connor es ohnehin ahnen musste.

Obwohl ich es kaum für möglich gehalten hatte, schaffte ich es, trotz des dicken Kloßes in meiner Kehle, auch noch die letzten Sätze tränenfrei über meine Lippen kommen zu lassen.

„... und meine Freundinnen meinten dann, dass du die letzte und einzige Chance wärst, endlich Antworten auf alles zu bekommen und das Rätsel um seine Vergangenheit vollständig zu lösen."

Ich holte noch ein letztes Mal tief Luft, um Connor den Ernst meiner Lage verdeutlichen zu können.

„Ich weiß nicht, was zwischen euch war und kenne deinen Bruder selbst erst seit ein paar Wochen, doch ich kann dir sagen, dass er sich mir gegenüber immer gut verhalten hat."

Dann starrte ich auf den Boden um Connors Blicken auszuweichen und sah neben der Tür seine geöffneten Koffer, die er vermutlich mit in New York hatte.

‚Immer gut verhalten', schien mir die größte Untertreibung überhaupt zu sein, doch ich musste mir Mühe geben sachlich zu bleiben. Meine romantischen Gefühle für seinen kleinen Bruder hatten in dieser Situation einfach keinen Platz.

Connor griff zur Kanne, goss sich nun ebenfalls Tee ein und lehnte sich nach dem ersten Schluck wieder zurück.

Dann fuhr er sich seufzend durch sein Haar, während er die Augen zukniff.

Angespannt beobachtete ich jede seiner Regungen.

Obwohl er zweifelsfrei gut aussah und die gleichen, strahlenden grün-karamellfarbenen Augen hatte wie Kieran, löste er in mir absolut nichts aus.
Das tat nur sein Bruder.

Was er wohl gerade durchmachten musste...?

Ich presste meine Lippen zusammen.
Ich musste mich fokussieren.

Wie hatte Connor die Geschichte aufgenommen? Glaubte er mir? Hatte er Vertrauen in mich? War er bereit auszupacken?

„Hmm", gab Connor dann irgendwann von sich.

Er wirkte nachdenklich und verwirrt, aber seine Mimik hatte sich während meiner Erzählung deutlich entspannt.

„Na schön Lynn.
Ich denke, nach alledem was du mit meinem Bruder durchgemacht hast, bin ich es dir wirklich schuldig, Licht ins Dunkle zu bringen und dir zu sagen, was ich weiß."

Kerzengerade richtete ich mich auf und alle Muskeln meines Körpers spannten sich automatisch an. Mein Puls trommelte und ich konnte kaum glauben, dass es wirklich passieren würde.

Kierans Bruder würde mir alles erzählen.

Einfach alles!

Ich würde endlich erfahren, wer Derjenige wirklich war, in den ich mich Hals über Kopf verliebt hatte. Der, der mich nahm wie ich war, mich zum schmunzeln brachte, mich erröten ließ, mich unwahrscheinlich anzog und mir das Gefühl gab, ich wäre die Eine für ihn.

Das Mysterium hatte nun ein Ende.

Unter dem Tisch begann mein Bein zu wippen und ich biss mir vor lauter Nervosität in meine Wangentasche.



Und dann erzählte Connor.

Er sagte mir alles, was er wusste.

„Mein Bruder hat eine sehr dunkle Vergangenheit..."

Die Anspannung in mir stieg und stieg. Mit jedem seiner Worte nahm sie zu.

„Er geriet auf die schiefe Bahn. Und alles begann mit dem tödlichen Autounfall unserer Mutter."

😳

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Hey ☺️

Hier kommt ein neues Kapitel von mir.
Hoffe ihr mochtet es und habt mitgefiebert.

Habt einen schönen Sonntag ☺️

F.

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt