Kapitel 5

9.7K 613 1K
                                    

Ich stoße atemlos die Haustür auf. Ich fühle mich so anders. So belebt. Ein kleiner Teil von mir will, dass ich grinse, aber ich will mich nicht zu früh freuen. Niemals. Es könnte bis Sonntag etwas dazwischenkommen. Vielleicht muss er ja absagen. Ich will niemanden davon erzählen, nicht einmal Dijan, bis das Treffen schon beendet ist, weil ich nicht weiß, ob ich selbst Auge auf mich mache. Es ist mir schon zu oft passiert, dass etwas nicht so gelaufen ist, wie es geplant war, nur weil ich mit Vorfreude davon erzählt habe. Selbst mein letztes Paket musste wegen Beschädigung noch während der Lieferung retourniert werden, weil ich es davor Dijan erzählt habe. Seitdem gibt es das Sakura Bodyspray auch nicht mehr im Douglas-Onlineshop und dabei war es sogar reduziert auf 14 Euro! Ich ärgere mich bis heute noch darüber. Mein Vater müsste auch in 20 Minuten nach Hause kommen. Gott, zum Glück hatte ich die Zeit im Blick, sonst hätte ich niemals zugelassen, dass Azad ... der Mörder mich bis vor die Haustür begleitet. Bin ich eigentlich komplett grenzdebil, dass ich einem Mörder so viel Vertrauen schenke? Was stimmt nicht mit mir? Hallo? Nein! Nein, ich werde mich nicht mit ihm treffen. Er hat mich nur manipuliert. Nein, niemals. Am Ende erschießt er mich noch zum Nachtisch. Das kann er vergessen. Ich drehe mich misstrauisch zu unserem roten Wasserspender. Dort sind zwei Lämpchen, die seit Jahren rot und grün leuchten. Nicht, dass er hier Kameras verwanzt hat. Sogar die Feuermelder wecken mit ihrem roten Leuchten mein Misstrauen.

Ich presse alle Zitronen aus, fülle sie in die drei Karaffen um und spüle immer die Zitronenpresse mit Wasser aus, das ich dann in die Behälter fülle, um kein bisschen zu verschwenden, gönne mir dann selbst ein Glas davon und kann dann, nachdem ich noch Salz hinzugegeben habe, die Zitronenwasser im Kühlschrank lagern. Meine Schwestern haben sich wohl Nudeln gemacht, wie es den Anschein hat. Das sind Avdars Curry-Sahne Nudeln, die ich so mag. Meine Schwägerin hat auch eine große Tupperdose mit einer Gemüsepfanne vorbeigebracht, aber ob mein Vater aktuell in der Lage ist, essen zu wollen, steht infrage. Ich hoffe es. Er soll sich nicht damit belasten. Ich mache ihm schon einmal einen Teller mit einer Banane, Apfel, Birne, zwei Mandarinen und Trauben fertig, fülle ein großes Glas mit dem Zitronenwasser für ihn auf und stelle es schon provisorisch im Wohnzimmer auf den weißen Couchtisch. Es wurde aufgeräumt und gestaubsaugt. Das ist gut. Das heißt, dass ich morgen nur wischen muss. Ich füge noch Dosenmais zu den erwärmen Nudeln hinzu und beginne dann mit einem Glas Cola mein Essen. Ich mag die kleinen Zwiebelstücke in der Soße ... ob er wohl Zwiebeln isst? Er wirkt so sauber, dass man sich nicht vorstellen könnte, dass er mal schlecht riecht. Ob der Geruch von Leichen schon mal an ihm klebte? Ob ich ihm solche Fragen am Sonntag stellen darf? So könnte ich ihn aus der Reserve locken.

Ich stelle mir schon vor, wie er vor mir sitzt, obwohl ich es nicht will. Meine Haltung wird sofort gerader. Ich bemühe mich zwar oft, aufrecht zu sitzen, aber manchmal habe ich keine Lust darauf. Ich weiß, wie man nach den Etiketten des Westens speist. Ich habe es mir selbst beigebracht, aber das heißt noch lange nicht, dass ich es jetzt tun soll, nur weil ich an diesen Mörder denke! Gott, ich werde ihn nicht los! Ich füge noch mehr Mais zu meinen Nudeln und leere zum Nachtisch sogar die ganze Dose, als dann mein Vater zum Beenden meines Kauens in die Wohnung tritt. "Ha, Baba. Bist du zu Hause?", fragt er mich, als er in die Küche tritt. Ich nicke. "Weißt du, wie lange Mama im Krankenhaus bleibt?" Er verneint es. Soll ich ihm sagen, dass ich am Sonntag weg bin? Moment! Scheiße, wie soll ich aufgetakelt aus dem Haus? Fuck! Wie soll ich es meinem Vater erklären? Eine Ausrede. Ich brauche eine Ausrede. Ja! "Bab, ich bin am Sonntag auf einer Hochzeit eingeladen. Dijans Cousine heiratet." "Okay, Baba. Wann kommst du?" Das ist eine Frage, die ich noch nicht beantworten kann. "Weiß nicht, aber ich bleibe sicherlich nicht lange. Ich habe dir Früchte und Wasser ins Wohnzimmer gebracht." Er soll mir bitte nicht noch mehr Fragen stellen, sonst stocke ich noch und ich will ihn nicht anlügen. "Aber geh deine Mutter davor besuchen." Ich würde meine Mutter niemals für einen Mann vernachlässigen. Wenn es sogar sein muss, nehme ich das Angebot an, nur um sie alleine von ihrer größten Sorge zu entlasten ... schon wieder ziehe ich das Angebot in Erwägung. Niemals hätte ich gedacht, dass mir sowas passiert.

Durch den Weg deines HerzesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt