Kapitel 23

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Der Tag ist gekommen. Heute findet unsere islamische Vermählung statt. Ich kann nicht beschreiben, ob der Fastenmonat schnell oder langsam vergangen ist. Einige Tage kamen mir zusammengefasst wie Stunden vor, hingegen gab es Tage, die mir wie Wochen vorkamen. Azad und ich sind nicht wirklich aktiver geworden, weil ich mich in diesem Monat sehr auf meine Religion konzentriert habe. Es ist nach vielleicht dreizehn Jahren der erste Ramadan gewesen, an dem der Junkie unsere Ruhe nicht stören konnte, das Essen nicht mit Salz und Chili nur seinen Bedürfnissen angepasst hat und uns als Fastende nicht mit seiner ekelhaften Art und fehlenden Gottesfurcht selbst im heiligen Monat in Ruhe lassen konnte. Selbst jetzt, wo er endlich weg ist, wünsche ich mir, dass er streng und erbarmungslos bestraft wird. Dieser Wunsch wird niemals enden. Seit mehr als einem Monat haben wir nichts vom Junkie gehört. Meine Mutter konnte in Ruhe in die Stadt und zurück, musste keinen von uns anrufen, damit wir im Hausflur kontrollieren, ob er dort irgendwo steht und wartet. Mein Vater muss ihn sonntags nicht mehr von der Tür wegzerren, wenn er dort klopft und bettelt. Meine Schwestern müssen keine Ausreden mehr erfinden, wieso ihre Freundinnen nicht zu uns kommen können, sondern hatten eine richtige Begründung. Nämlich, dass sie umziehen. Jede von ihnen besitzt jetzt ein eigenes Zimmer. Meine Mutter besitzt jetzt einen wunderschönen Garten, in dem sie ihr eigenes Obst und Gemüse pflanzen kann, sodass wir alle zufrieden sind. Lustig ist aber, dass es das Haus ist, in dem die letzte Leiche an jenem Mittwochabend gebracht wurde, an dem ich den blauäugigen Mörder kennengelernt habe.

Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Heute ist mein Hochzeitstag. Heute werde ich heiraten. Alle um mich herum sind in höchster Feierlaune, singen, tanzen, schießen Fotos und machen Videoaufnahmen. Nur ich bin ruhig wie schon auf der Hennafeier. Schon verrückt, dass meine Ehe auf Vereinbarungen fußt. Es ist ein Deal. Schon schade, dass ich nicht aus Liebe heirate. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass ich deshalb heirate. Ich wollte immer die Person heiraten, die ich liebe. Oft habe ich Geschichten von Frauen gehört, die nur wegen ihrer Eltern geheiratet haben und habe den Kopf darüber verärgert geschüttelt. Jetzt verstehe ich es. Hätte ich es nicht getan, würde meine Familie bis heute leiden. Ich kann von Glück sprechen, dass ich eine Person wie Azad als Mann an meiner Seite habe. Trotzdem kann ich mich nicht wirklich freuen. Heute werde ich alleine mit ihm in diesem großen Haus verbringen. Ganz alleine. Ich habe schon in Erwägung gezogen, in einem der Gästezimmer zu übernachten, weil ich mir nicht vorstellen kann, neben ihm im Ehebett zu liegen. Ja, wir hatten einige angenehme Momente, aber wir sind uns selten sehr nah gekommen. Vor allem, da wir uns diesen Monat nur gesehen haben, falls seine Familie bei uns gegessen hat oder wir bei seiner. Das Intimste war das Aufeinanderliegen unserer Hände.

Ich fahre über den hellblauen Stoff meines Xeftans. Er ist wunderschön und harmoniert perfekt mit dem Goldschmuck. Azad hat für mich auch einen wunderbar deckenden hellblauen Nagellack gewählt, den ich jetzt trage. Ich habe Hunger, will aber nichts Großes essen, solange die Zeremonie nicht gehalten wurde, damit ich nicht meine Gebetswaschung neu nehmen muss. Daher gebe ich mich mit Sonnenblumenkernen und meinen crispy M&Ms zufrieden. Ich liebe die Dinger, nur muss ich danach Wasser trinken, um so das Gefühl des Süßen kompensieren zu können. "Was ist los, Schwester?" Dijan schmiert sich schon zum fünften Mal Lipgloss auf ihre Lippen und erst jetzt erinnere ich mich wieder daran, ihr ihren Lipgloss zurückzugeben. Der ist oben im Schlafzimmer. Es war schon komisch, meine Kleidung in die Schränke zu räumen. Azad hat mir einen größeren Kleiderschrank angeboten, aber das ist nicht nötig. Ich miste zweimal im Jahr aus, mal abgesehen davon, dass der neue Kleiderschrank extrem groß ist. "Nichts", murmele ich. Ob das so stimmt, weiß ich nicht. Ich bin nicht glücklich, aber ich bin auch nicht traurig. Ich fühle nichts. Ich frage mich nur, wie meine Zukunft jetzt sein wird. Meine Zukunft als Ehefrau. "Du wirkst so traurig." Traurig ist der falsche Begriff, aber das bin ich von ihr gewöhnt.

Durch den Weg deines HerzesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt