Kapitel 54

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Es ist falsch und schon fast erbärmlich, wie ich Azad jedes Mal meide. Seit der Konversation mit der Mutter hege ich eine Abneigung gegen ihn, weil er ein Baby gehalten hat. Ein Baby! Dass sich die letzten Tage immer wieder mehrere dubiose Männer über Stunden in unserem Wohnzimmer aufhielten, kam mir zugute. Ich bin nicht ein einziges Mal aus dem Schlafzimmer gekrochen, habe Azad somit weitestgehend meiden können und hin und wieder mal vorgespielt, dass ich schon am Schlafen bin. Durch die Arbeit haben wir auch nicht miteinander gegessen und da ich noch nicht gut genug mit dem Abschätzen der Portionen bin, mussten die Sicherheitsmänner den Rest essen. Jaffar war da leichter zu überzeugen als Jamal, aber am Ende hat er sogar nach Nachschlag gefragt. Das war das einzige Highlight meiner Woche. Kam Azad, habe ich mich verschanzt. Plötzlich war ich im Bad oder am Lesen und hatte dabei meine In-Ear-Kopfhörer eingestöpselt, obwohl keine Musik lief. Ich wollte nur nicht mit ihm sprechen. Alles unnötig und kindisch. Ein Gespräch wäre die einzig richtige Lösung, aber ich habe keinen Bedarf zu sprechen. In solchen Momenten bin ich kühl, still und distanziert. Mein Körper möchte dafür keine Energie aufbringen. Das Problem ist nur, dass es Sonntag ist und Azad gerade frisches Brot auf die Terrasse bringt. Ich weiche seinem Blick sofort aus, will nach dem Brot greifen, als sich seine Hand schon vielsagend um mein Handgelenk schließt.

"Avin", setzt er an. Mein Name folgt nur dann, wenn es Ernst wird. Ich bin aufgeflogen, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich es nie versteckt. Aversionen konnte ich noch nie überspielen. Ich erwidere seinen Blick träge, ganz zu seiner Verärgerung. "Hältst du mich für dumm?" Er sollte es nicht darauf ankommen lassen, denn in meiner aktuellen Verfassung bin ich oft versucht, zu provozieren. Ich entscheide mich jedoch dafür, trocken und deeskalierend vorzugehen. Das heißt übersetzt, dass ich kein Wort sage und ihn weiterhin anschaue. Nicht einmal blinzeln tue ich, bis er weiterspricht. "Was ist los mit dir? Warum meidest du mich seit acht Tagen?" Was soll ich ihm sagen? Dass mich sein Wunsch nach Kindern anekelt? Dass ich mich vor potenziellen Streits eben damit schütze, indem ich meine Mauern hochfahre? Was will er von mir hören? Mir kommt kein Wort über die Lippen und das stört Azad, wie ich anhand seines zuckenden Kiefermuskels deutlich erkenne. "Habe ich etwas getan?", fragt er gedämpft und noch immer hält er mein Handgelenk fest, auf das ich jetzt schiele. Es ist pure Kulanz, dass er es jetzt loslässt. Es tut mir leid, dass er beim Hinsetzen resigniert seufzt.

"Avin, seit acht Tagen bemerke ich, dass du dich von mir distanzierst. Wir haben seit acht Tagen keine richtige Konversation geführt. Deine Körpersprache hat nicht einmal zugelassen, dass ich mich dir im Bett nähern konnte. Was habe ich dir getan?", fragt er besorgt. Es tut mir so leid, dass ich ihn verunsichere. Wie er es angeht, ist absolut richtig. Ich hingegen schalte ab und fahre meine Energie runter, statt es aus der Welt zu schaffen. Wie immer. Das ist nicht gut. Azad betrachtet mich ungeduldig, während ich nichts anderes tue, als abwechselnd auf das Frühstück und sein Gesicht zu schauen. Was soll ich ihm sagen? Der Grund ist lächerlich und irrational, aber so ist das nun mal mit vielen Ängsten. Und er hat mit dem Halten des Babys eben meine Angst vor einer Schwangerschaft getriggert. Mich ekelt der Gedanke an, ein Lebewesen in meinem Bauch zu tragen. Ich will es nicht und demnach will ich keinen Mann an meiner Seite sehen, der bei dem alleinigen Gedanken vollkommen fasziniert ist. Das versteht er nicht. Das muss er auch nicht. Es ist meine Angst und meine irrationale Logik. "Passt schon", ist alles, was von mir kommt. Reserviert, ohne jeglichen Klärungsbedarf.

Damit nehme ich mir das Brot zur Hand, nur um wieder aufgehalten zu werden. Sein Kiefer zuckt voller Ungeduld, was ich absolut nachvollziehen kann. Er hat jedes Recht, wütend meinetwegen zu sein. "Erinnerst du dich noch an die Situation in meinem Büro, wo du wütend auf mich warst, weil du dich nicht ernst genommen gefühlt hast?" Das tue ich. Demnach necke ich auch entsprechend. "Genau das fühle ich gerade. Sag mir, was das Problem ist. Jetzt." Fast zucken meine Lippen belustigt. Azad spielt gerade keine Spielchen und ich bin wirklich so verkorkst, dass mir nach einem Schmunzeln zumute ist. "Kein Großes." "Dann sollte es umso schneller aus deinem Mund kommen." Oho, Azads Ton ist viel stumpfer. Dem geduldigen Mörder reißen langsam die Fäden. Meine Augenbraue hebt sich als unausgesprochenen Kommentar dazu. "Eine Nichtigkeit." Ich spüre, wie seine Finger um mein Handgelenk zucken. "Nichtigkeit?", presst er hervor. Ich sehe zum ersten Mal, wie seine Halsadern langsam hervorstechen. Noch bin ich nicht verschreckt. Langsam darf auch ich verstehen, dass er mir nichts tut. Trotzdem muss ich mir die kleine Brise von den Schultern schütteln. "Ich habe keinen Bedarf darüber zu sprechen." "Willst du mich den Rest deines Lebens anschweigen?" So bin ich leider. Aber ich weiß, dass es falsch ist und dass ich damit Azad nicht respektiere. Es fällt mir nur so schwer, es über die Lippen zu bringen, so simpel es auch ist. Ihm zuliebe mache ich es aber.

Durch den Weg deines HerzesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt