Kapitel 39

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"Steh auf." Ich wiederhole mich schon zum dritten Mal und das ist viel zu geduldig und großzügig von mir. "Gleich", brummt Azad um 04:33 Uhr. "Jetzt." Ich habe ihm schon die Decke weggezogen, aber er ist immer noch das Riesenbaby, das nicht aufstehen will. "Wann kriegst du wieder deine Tage?" "Ich schlage dich gleich." Sein Brummen sagt mir, dass er nicht sonderlich beeindruckt von meiner trockenen Drohung ist. "Wäre mir lieber, als geweckt zu werden." Genug. Ich habe keine Geduld mehr, also ziehe ich ihn an seinen schweren, warmen Armen auf und muss ihn ernsthaft aus dem Bett schleifen! "Du Riesenbaby." Ich habe keine Kraft für 110 Kilo um fünf Uhr morgens. Ist er immer so warm oder liegt es am Wetter? Ich schleppe diesen dramatischen Mörder ins Bad, schalte das kalte Wasser an, um es ihm ins Gesicht zu klatschen. Endlich wird er wacher. "Ein Kuss würde ausreichen, um mich zu wecken." "Ein Messer sicherlich auch." Oh nein ... er lächelt lüstern. "Das bewirkt tatsächlich Wunder, Schneeflocke." Er braucht mich gar nicht so anzusehen! Ich drehe sein Gesicht wieder zum Waschbecken. "Mach jetzt." Ich habe die Gebetswaschung schon genommen, als ich mit dem ersten Ton meines Weckers aufgewacht bin. Wenn es weiterhin so anstrengend bleibt, ihn zu wecken, muss ich härtere Geschütze auffahren. Dass er nicht einmal erwacht, wenn die Kätzchen auf ihn herumspringen, ist bemerkenswert. Ich wache unter jedem Springen aufs Bett auf.

Azad ist nach dem Gebet sofort wieder eingedöst, während ich wach im Bett liege. Ich will heute ausgehen. Warum, weiß ich nicht. Mir ist einfach danach und daher will ich, dass es heute stattfindet. Ich drehe mich auf meine rechte Körperhälfte, um ihn zu mustern. Er schläft immer mit einer Hand unter seinem Ohr und warum auch immer finde ich das süß. Er schläft immer, mit dem Blick auf mich, gerichtet ein. Ich mag das. Das gefällt mir sehr. Mit mir soll genau so umgegangen werden. Ich will wie eine Prinzessin von ihm verehrt und behandelt werden, aber irgendwie ... ich habe immer noch diese kleine Angst in mir. Ich denke manchmal immer noch daran, dass er es nur vorspielt, auch wenn ich nichts auf seinem Handy finde. Das sagt überhaupt nichts. Er könnte ein Zweithandy haben. Eine zweite Nummer. Ich kenne das alles doch. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen, als ich mich ihm prüfend nähere und die Arme vor meiner Brust verschränke. Er ist der Sonnenschein von uns beiden und selbst im Schlaf kann ich es spüren, auch wenn er streng wirkt. "Idiot", murmele ich. Wahrscheinlich träumt er davon, wie ich ihn fessele und mit einem Messer bedrohe. Seine Fetische werde ich niemals verstehen. Außerdem werde ich niemals verstehen, wie ein Mann so perfekt sein kann. So ruhig, so robust und stoisch. Ich würde gern wissen, wie er ist, wenn er gerade dabei ist, jemanden zu foltern, so beunruhigend sein Zustand danach auch war. Schließlich sind Erzählungen nicht mit dem realen Miterleben zu vergleichen.

Mein Zeigefinger zuckt in dem Moment, als mein Blick auf seine schönen Lippen fällt. Nach dem Erwachen sind sie geschwollener, aber das ist normal. Nur sieht es bei ihm erschreckend gut aus, weil sie dann rötlicher wirken. Sie fühlen sich so schön an. Er muss sich nicht jeden Abend die Lippen mit Vaseline bestreichen, damit sie nicht nach dem Gesichtswaschen am nächsten Morgen trocken und rissig werden. Sie sind verdammt weich ... ich will gar nicht aufhören, sie zu berühren, genau wie seine rasierten Wangen. So gefallen sie mehr. Seine Muskelspiele sind dann viel leichter zu bemerken und zu bewundern. Er ist 27 ... das Alter, das ich bei meinem Idealmann immer besonders attraktiv fand. Ich weiß nicht wieso, aber dass er fast 30 ist, hat etwas sehr Anziehendes an sich. So reif, so erwachsen, so erfahren und wissend. Meine Fingerkuppen wanden über seine Wange hinab zu seinem Hals, dann zur Narbe. Ich stelle mir vor, wie jemand seinen Kopf von hinten festgehalten hat und schnell ein Messer gezogen hat. Wer hat ihm geholfen? Wer hat ihn gerettet? Ist die Person jetzt tot? Hoffentlich. Meine Finger wandern weiter hinab zu seinem Bauch, wo ich erst jetzt unter der dunklen Tinte eine Narbe spüre. An der Stelle, wo die Leber ist. Das ist heftig. So viele Narben. So viele Geschichten.

Ich rutsche weiter auf, schaue noch einmal zögernd zu seinen geschlossenen Augen, als ich dann einen kleinen Kuss auf die Narbe an seinem Hals setze ... und noch einen. Ich weiß nicht wieso, aber ich muss noch einen dritten Kuss geben und dann noch einen vierten, weil ich dann so den Anfang und das Ende geküsst habe. Mich überkommt der Drang, mehr auf ihn zu achten. Je mehr Narben ich auf seinem Rücken ertasten kann, desto stärker wird dieser Gedanke. Ich mache mir keine Sorgen um Menschen, aber das heißt nicht, dass ich sie nicht wenigstens ein bisschen schützen kann. Ich schmiege mich gänzlich an seinen warmen Körper. Es hat sich gelohnt, so lange mit Männern und Intimität zu warten, denn keiner würde an ihn herankommen. Es wäre eine Verschwendung an Energie gewesen, mich mit weniger ansprechenden Typen abzugeben, nur um meine Bedürfnisse zu stillen. Es fühlt sich gut an. Wirklich gut. Mir gefällt das Gefühl seiner Muskeln an meinem Oberkörper. Es sagt mir zu, das Gefühl des Schutzes durch ihn vermittelt zu bekommen, selbst wenn er schläft - seine Waffe liegt auf seinem Nachtschrank. Ich muss sofort an meine erste Intimität mit ihm denken. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass mein erstes, sexuelles Zusammensein mit Waffen zusammenhängen wird. Er hat einfach das Fenster zerschossen! Ich glaube es manchmal immer noch nicht.

Durch den Weg deines HerzesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt