Kapitel 45

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Es ist verrückt, wie langgezogen ein Tag in meinem Leben vorkam und jetzt die letzten Wochen und Monate so schnell vergingen, dass ich überlegen muss, was ich alles erlebt habe. Bevor der März eintrat, hätte ich niemals mit einer positiven Veränderung in meinem Leben gerechnet. Und jetzt? Jetzt liege ich wach in den Armen eines Mannes, der mich gerettet und belebt hat. Und ich habe ihn geküsst! Ich! Diejenige, die sich vor Männern geekelt hat und alle unbegründet stigmatisierte, fühlt sich wohl genug, auf der Brust eines Mannes zu liegen. In der Zeit, in der ich wach geworden bin, gab es mehrere Momente, in denen ich das Ganze doch etwas komisch fand. Es ist ungewohnt. Vielleicht mache ich etwas unwissentlich falsch. Ich finde es komisch, dass ich so oft so zärtlich zu ihm war. Das kenne ich nicht so von mir. Überhaupt nicht. Es wirkt so ... gruselig. Keine Ahnung, wie ich es erklären soll, aber es passt nicht zu mir, so gefühlvoll zu sein. Ich rutsche näher an Azad ran, umschlinge dabei seinen Brustkorb, als ich ihn dann unterdrückt ächzen höre. Seit wann ist er so früh wach? Ich schaue zu ihm hoch und tatsächlich sind seine Augen geöffnet. Oh Gott. Zum Glück habe ich ihn nicht geküsst oder befummelt. Mein Gesicht wird trotzdem heiß.

"Warum bist du wach?", frage ich vorwurfsvoll. Um diese Uhrzeit kann er nur aus pathologischen Gründen wach sein. "So sehr ich auf Schmerzen stehe, die durch dich entstehen, denke ich, dass meine Rippen doch verletzter sind, als ich angenommen habe." Azad ächzt, als er sich streckt ... und diese Laute ... oh Gott. Es hört sich gut an. Zu gut. Ich muss schmunzeln. "Wie lange bist du schon wach?" "Habe kaum geschlafen", murmelt Azad plötzlich rau. So wirkt er auch, wenn ich ihn mir jetzt richtig ansehe. Seine Lippen sind geschwollen ... aber ich werde ihn nicht küssen. "Weshalb?" "Hab doch stärkere Schmerzen als ich angenommen habe." Oh Gott, ich setze mich sofort auf. "Ist dir heiß?", frage ich und taste sofort seine Stirn und Oberkörper ab. Er fühlt sich warm an, aber ob man es als fiebrig bezeichnen kann oder es seine normale Körpertemperatur ist, weiß ich nicht. "Nein, alles gut. Ich muss mich heute sowieso untersuchen lassen." Hm, okay. Was schmunzelt dieser verletzte Mörder aber jetzt so? "Was?" Er soll mich nicht so anschauen! Mir wird warm deshalb ... und ich werde verlegen. "Macht sich die eiskalte Geschäftsführerin Sorgen um mich?" "Nein." "Doch." "Du solltest dir lieber Sorgen um dein Leben machen, alter Mann." Es war ja klar, dass er jetzt grinsen muss. Nur habe ich nicht vorhergesehen, dass mein Bauch deshalb kribbelt und sich zusammenzieht. Ich muss was essen. "Ich kann in Frieden sterben. Ich wurde von meiner Ehefrau geküsst und gepflegt. Meine Liste ist abgehakt." Süß. Ich will nicht lächeln und um genau das zu umgehen, kneife ich prüfend meine Augen zusammen. Vielleicht lenkt ihn das von der Wärme und potenziellen Röte meines Gesichtes ab.

"Du willst mich also hierlassen?" "Würdest du mich vermissen?" Ich weiß es nicht. "Nein." Oh ... seine Mundwinkel zucken. Scheiße, ich wollte ihn nicht verletzen. Ich halte inne, zu überfordert, einen Satz zu bilden. Das wollte ich nicht. Es war eigentlich nur als Witz gemeint, um meine Unsicherheit zu überspielen, aber ... ich umarme ihn einfach. Ich hoffe, das klappt. Azad erwidert sie zumindest, nur ächzt er sofort, als er uns hinlegt und mich näher an sich zieht. Scheiße, seine Rippen! Das Problem ist, dass ich mich nicht aus der Umarmung ziehen möchte ... ich mag sie. Es fühlt sich schön an. Hoffentlich ist er mir nicht böse, aber er nimmt auch nicht seinen Arm von mir. Das Ganze ist peinlich, unangenehm, verwirrend und doch irgendwie schön. "Ich brauche eine Oxy", murmelt Azad schmerzerfüllt. Ich will eigentlich unruhig werden, weil er Oxycodon möchte, aber so wie er gerade unterdrückt stöhnt und das Gesicht verzieht, glaube ich nicht, dass er das Schmerzmittel missbrauchen will. Er stößt ein Zischen durch seine zusammengebissenen Zähne hervor und es tut mir leid, aber er sieht unfassbar attraktiv aus, wenn er Schmerzen hat. Er soll wieder stöhnen. Ich bewege unauffällig meinen Oberkörper, um seine Rippen zu treffen und es tut mir wirklich leid, dass ich ihn damit verletze, aber das Stöhnen ist es mir wirklich wert. Jetzt mache ich aber nichts mehr. "Sag mir, wo es ist und ich hole es dir." "Ganz unten im Wandschrank, wo du den Rest rausgeholt hast. 10 Milligramm." Armer Azad. Der Satz macht ihn ganz atemlos.

Durch den Weg deines HerzesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt