Kapitel 49

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"Willst du vielleicht noch näherkommen?" "Wenn du mich schon so großzügig fragst, traue ich mich endlich zu sagen, dass ich am liebsten unter dein Oberteil schlüpfen möchte." Ich seufze. Azad klebt an meinem Rücken, hält es für außerordentlich wichtig, so nah an mir zu stehen, damit ich keine weiteren Kopfschmerzen auslöse durch das Schießen, weil meine Haltung immer noch nicht die Beste ist. Dass ich seinetwegen schwitze, ist ihm aber herzlichst egal. Wenigstens riecht er gut. "Visieren." Tue ich. "Bereit?" Ich summe nur, schüttele den kleinen Schauder ab und warte auf das Startsignal. "Schieß." Der Schuss drückt mich ein weiteres Stück an seine warme Brust, obwohl ich dachte, dass es nicht näher gehen würde. In meinen Ohren surrt es wieder durch den lauten Knall und ich bin schon wieder frustriert. "Ich habe doch auf die Mitte gezielt!" Wieso treffe ich dann nicht die Mitte? "Dein Arm ist eben nicht dein Auge, Schneeflocke. Das bedarf viel Übung und Erfahrung." "Aber mein Arm ist auf Augenhöhe!" "Auf Augenhöhe, aber nicht eins zu eins. Versuch ein wenig versetzter zu zielen. Es gibt auch Waffen mit integriertem Laser. Damit lasse ich dich auch einmal schießen und mit denen wirst du sicherlich besser umgehen können. Lass dich nicht von der Waffe ärgern. Du bist gut." Bin ich nicht. Ich weiß, dass es dumm ist, sich mit einem erfahrenen Mann zu vergleichen, aber diese schlechte Eigenschaft werde ich einfach nicht los!

"Und du bist schon sehr geschickt mit den Messern. Dadurch, dass du bald auch noch die Anatomie lernst, wirst du mir und Aras weitaus überlegen sein." Apropos Aras ... wir haben beschlossen, ihn heute mal einzuladen. Wie es wird, weiß ich nicht und ich bereue es jetzt schon halb. Ich weiß einfach nicht, wie es sein wird und ich kann es mir nur unangenehm vorstellen. Das ist auch der Grund, weshalb ich die Halle gar nicht verlassen will und als würde Azad es erahnen, nimmt er mir die Waffe ab. "Wir sollten langsam los. Uns erwartet immerhin ein Gast." Na toll. Meine Lippen zucken demotiviert. "Möchtest du mir etwas sagen?" "Wolltest du nicht endlich wieder zurück in die Firma?" Jetzt zucken seine Lippen. Nur ist er amüsiert. "Ich bin noch zu sehr an das Home-Office gewöhnt und an die Nähe meiner schönen Ehefrau." Kaum beendet er seinen Satz, zieht er mich an sich. Die plötzliche Wucht lässt mich keuchen. Ich halte mich an seinen Schultern fest. "Wie soll ich mich dazu zwingen, zurück in mein Büro zu gehen, ohne meine Schneeflocke um mich herum zu haben?" "Wie willst du es dann machen, wenn ich dann studiere?" "Vielleicht sitze ich in den Vorlesungen neben dir?" Das fehlt noch. Und doch finde ich die Vorstellung so lustig, dass ich schmunzeln muss. "Wäre nichts Überraschendes. Immerhin bist du immer zu meiner Arbeitsstelle gekommen." Verrückt, wie schnell die Zeit verfliegt. Ich vermisse die Zeit irgendwie.

"Ich hole dich an deinem ersten Tag an der Uni ab, nachdem ich dich dort abgesetzt habe. Willst du eine Schultüte für den ersten Tag?" Die Vorstellung lässt mich wieder schmunzeln. "Ich habe nicht meinen ersten Tag an der Grundschule." "Du bist doch erst seit gestern auf der Welt." Wenn man es auf meine veränderte Lebenslage bezieht, dann stimmt es. "Daran erinnerst du dich noch? Ich dachte, in deinem hohen Alter vergisst man alles nach zehn Minuten." "Das Wichtige bleibt im Kopf und im Herzen, meine schöne Tulpe." Meine schöne Tulpe. Dieser Mann lässt mich zu oft lächeln. Wir beginnen zu tänzeln. Die Hand, in der die Waffe liegt, ruht jetzt auf meinem Kreuz. Die andere hält meine Hand. "Was sollen wir heute essen?" "Ich kann auch bis zum Nachtisch hungern." "Das wirst du noch", erwidere ich lächelnd. Noch habe ich nicht mit ihm abgeschlossen und werde ihn noch mindestens einmal foltern, bevor er irgendwann einen Orgasmus kriegt. Was das betrifft, habe ich mich für das Hormonschirmchen entschieden. Wenn ich die Höchstdosis nehme, habe ich einen Verhütungsschutz von fünf Jahren. "Ich muss einen Termin bei der Gynäkologin machen." "Du hast dich entschieden?", fragt er mich überrascht. Ich summe bejahend. "Will es schnell eingesetzt bekommen." Warum grinst er jetzt so schief?

"Wieso so ungeduldig? Kannst du es nicht mehr abwarten, mit deinem Mann zu schlafen?" Wenn ich ehrlich bin, hatte ich gestern einen Traum ... und ich bin froh, dass Azad so tief schläft. Ich weiß nicht, ob ich auch außerhalb des Traumes stöhne, aber sicher ist, dass ich nicht nur im Traum gekommen bin. "Sicher ist sicher." Sein Schmunzeln bleibt und es steht ihm unverschämt gut. Er ist ein hinreißender Mann und genau deshalb will ich jetzt schon abgesichert sein, für den Fall, dass ich mich doch nicht mehr zurückhalten kann. Er kann meine Gedanken nicht lesen, aber es ist nicht zu schwer zu erraten, wenn ich ihn mit halb offenen Augen ansehe und langsamer atme. Und immer wieder zwischen seine Beine schiele. "Was immer du dir wünschst." Seine Lippen senken sich warm auf meine. Kurz, aber schön. "Was wird es?" "Das Schirmchen. Hormonspirale nennt man es auch." Er summt. "Stellt eure Firma so etwas nicht her?" "Tatsächlich nicht. Sollten wir es in Betracht ziehen?" "Wieso nicht? Bringt doch Geld oder nicht?" "Wenn es sich gut verkaufen lässt, dann ja." Azad hebt seinen Arm, um mich zu drehen und meinen Rücken an seinen Oberkörper zu drücken. Ich erschaudere minimal. "Du besserst dich", setzt er leiser an. "Manchmal reagierst du überhaupt nicht, wenn du mir deinen Rücken zudrehst. Du machst sehr gute Fortschritte, Schneeflocke. Ich bin stolz auf dich." Sobald er mir diesen Satz mitteilt, schmelze ich dahin.

Durch den Weg deines HerzesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt