Kapitel 29

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"Nein, Salz." Wir sind seit eineinhalb Stunden wieder in Dubai. Der Ausflug war schön - auch wegen der Natur um uns herum. Azad konnte mich nur schwer überzeugen, ins Wasser zu steigen. Anfangs habe ich mich geweigert, aber als wir an einem türkisfarbenen, klaren Bereich angekommen sind, habe ich mich doch getraut, reinzuspringen. Wir hätten länger bleiben können, wenn Azad nicht pochende Kopfschmerzen trotz Sonnenbrille, Ausruhen und Kopfschmerztablette hätte. Die Sonne in Oman scheint wohl doch stärker zu sein als hier in Dubai, aber bei dem ganzen Wasser um uns herum, ist es nicht anders zu erwarten, dass man geblendet wird. Ich bin trotz Sonnenschutz braun geworden, obwohl ich sonst sehr langsam braun werde. Azad hingegen hat seine Farbe behalten. Er ist aber auch von Natur aus dunkler als ich. Im Winter bin ich bleich und im Sommer habe ich einen wärmeren, rötlichen Unterton. "Wir hätten auch einfach in ein Restaurant-," "Sei still und gib mir das Salz." Wie anstrengend es ist, mit ihm zu kochen. Wenn ich das Salz will, will ich es sofort. "Was immer du willst, Schneeflocke." Er reicht mir die Mühle, mit der ich nicht sonderlich viel anfangen kann. Ich mag keine Salz- und Pfeffermühlen. Woher soll ich die Kraft nehmen und mein Handgelenk auf Dauer so zu belasten, dass sich eine potenzielle Sehnenscheidenentzündung entwickeln kann? Ein Streuer ist viel angenehmer.

Die Indomie-Nudeln können gleich zu der Gemüsebrühe. Dadurch, dass ich nicht möchte, dass das Gemüse schlecht wird, habe ich direkt eine große Menge an Zwiebeln, von Azad geriebenen Karotten und Lauch mit Hühnerbrühe aufkochen lassen. Es wird mehr Brühe als Nudeln sein, aber dann haben wir noch etwas für morgen zum Frühstück übrig. "Machst du dir öfter solche Nudeln?" "Ja." "Dann muss es schmecken." Ich antworte nicht weiter, sondern rühre die Brühe um. Vom Salzgehalt passt es, aber ich sollte ihn auch noch abschmecken lassen. Daher löffele ich ein wenig der Brühe auf, puste zweimal und halte es vor seine Lippen, die sich für einen kurzen Moment zu einem Lächeln verziehen wollen. "Probier', bevor ich es mir anders überlege." "Niemals würde ich mir diese Chance-," Ich drücke ihm den Löffel in den Mund, sonst müsste ich noch Stunden warten. "Und?" "Perfekt, Schneeflocke." Gut, dann können die Nudeln hinzu und in weniger als fünf Minuten sind wir fertig. Die panierte Hähnchenbrust wurde schon in Streifen geschnitten und kann gleich schon auf der Brühe mit dem Mais, den übriggebliebenen Lauchzwiebeln und dem geriebenen Mozzarella drapiert werden. "Hat es dir heute gefallen?" "Schon." "Was genau?" Unser Gespräch. Ich mag Gespräche, wenn es meine soziale Batterie zulässt. "Das Wasser tat echt gut." "Da hast du recht. Das hatte ich auch echt nötig, aber meine Kopfschmerzen wurden zu stark. Tut mir leid." "Passt schon. Hier gibt es auch Wasser." Ich weiß ja, wie lästig Kopfschmerzen sind.

Ich muss wieder an sein Geständnis denken. Azad sitzt in T-Shirt vor mir. Wäre es nicht eigentlich eine gute Gewöhnung, wenn er oberkörperfrei herumlaufen würde? "Willst du nicht dein T-Shirt ausziehen?" Meine Frage ruft offensichtliche Überraschung auf seinem Gesicht auf. "Eigentlich nicht, wieso?" "Das wäre doch eine gute Übung zum Gewöhnen oder nicht?" Wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm. Ich meine ja nur. Vielleicht hat es einen fördernden Effekt. Dass er mich weiterhin so ansieht und zum Teil auch verwirrt wirkt, verstehe ich nicht. "Wenn du nicht willst, dann musst-," "Nein, nein, alles gut. Ich ... ich bin nur überrascht, dass das von dir kommt." Eigentlich gebe ich immer Tipps und Empfehlungen, aber es kann wirklich sein, dass es die erste Empfehlung an ihn von mir ist. Irgendwie wirkt er schon süß, mit seinen Augen, die ganz groß sind durch meine Aussage. Er zögert ein wenig, aber dann sehe ich Stück für Stück die tätowierte Haut an seinem Bauch, dann an seiner Brust und am Ende steht Azad wie eine verlegene Jungfrau vor mir und ballt sein T-Shirt in seiner Hand. Ich muss es mir echt verkneifen, zu lachen. "Was ist los?", schmunzele ich. "Ich ... keine Ahnung. Das kam so plötzlich." "Ich dachte, du fühlst dich wohl." "Tue ich, aber ... ich dachte, du fühlst dich nicht wohl." Quatsch. "Es ist natürlich etwas Neues für mich, einen halbnackten Mann um mich herum zu haben, aber es hat ja einen therapeutischen Nutzen." Er will etwas ansetzen, zuckt aber dann doch verdutzt zurück.

Durch den Weg deines HerzesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt