Kapitel 48

10.7K 541 906
                                    

Ich muss durchatmen. Ich muss mich beruhigen, aber ich kriege das Bild nicht aus dem Kopf, wie er mir hinterherrennt. Und seine Aussagen. Gott, wie wütend mich seine Aussagen jetzt schon wieder machen. In der halben Stunde, die ich hier auf dem Bett liege, gehen nur sie durch meinen Kopf, sobald ich das Gefühl habe, zur Ruhe zu kommen, nur um mich wieder in Rage zu bringen. Das Problem ist auch, dass ich noch nicht das Nachmittagsgebet verrichtet habe und es wirklich allerhöchste Zeit ist. Das Bad ist mit unserem Schlafzimmer verbunden, aber es ist besser, wenn wir gemeinsam beten ... ein Paar, das sich streitet, soll spätestens beim nächsten Gebet wieder zusammen sein. Aber ich bin dennoch sauer auf ihn. Ich will ihn gar nicht sehen. Das Gute ist, dass mich die Gebetswaschung ein wenig herunterkommen lässt. Jetzt stehe ich vor der Wahl: ohne ihn beten oder die Tür öffnen und schauen, wo er ist. Ein großer Teil in mir wehrt sich dagegen, zur Tür zu gehen. Ich bin noch zu verschreckt, um zu schauen, wo er ist. Er könnte direkt vor der Tür stehen und sich hineindrängen. Es bedarf drei Anläufe, aber dann schaffe ich es, die Tür aufzuschließen. Mein Herz setzt einen Moment vor Angst aus, aber er sitzt nur vor der Tür. Er steht nicht. Die Haltung ist gebeugt, selbst als er zu mir schaut. War ich zu hart? Habe ich ihn damit verletzt? Hat er verstanden, dass ich Angst hatte?

"Avin", setzt er rau an. Meine Brust fühlt sich bei seinem Anblick schwer an. Ich wollte das nicht. Ich wollte nur meine Ruhe und dass er mir nicht hinterherrennt und mir aufdrängt, mit einem Kiffer zu reden. Gott, das macht mich fertig. Habe ich ihm sehr wehgetan? Ich halte ihm zögernd meine Hände hin, als er sich langsam auf die Knie stellt. Seine Hände fühlen sich im Gegensatz zu meinen so warm an. "Avin, ich wollte dir nichts antun. Geht es dir gut? Hattest du Luftnot?" Ein bisschen, aber ich hatte mein Asthmaspray parat. Ich atme tief durch, fühle mich bei jedem besorgten Wimpernschlag seinerseits immer schuldiger. Ich verstehe, was sein Ziel war, aber er hat sich falsch ausgedrückt, als er eine Gegenleistung wollte, und das Argument mit dem Heiraten eines Mörders macht mich jetzt immer noch wütend. So wütend, dass ich mich doch ein wenig mehr aufraffe und mich räuspere. "Wir müssen beten." Er nickt, deutet bittend darum, ins Schlafzimmer treten zu können. In der Zwischenzeit, in der er seine Gebetswaschung nimmt, lege ich unsere Gebetsteppiche bereit und ziehe mir mein Gewand über. Ich merke während des Gebetes, dass ich unkonzentrierter bin. Immer wieder kommt mir seine Frage in den Sinn, wieso ich dann einen Mörder geheiratet habe, wenn es meinen Prinzipien widerspricht. Es macht mich wütend. So unbeschreiblich wütend, dass ich ihn am liebsten deshalb anschreien möchte.

Wie gewohnt beende ich das Gebet nach ihm. Dass er mich dabei beobachtet, stört mich heute. Ich weiß nicht, wie ich fühlen soll. Schaue ich in seine schuldbewussten Augen, fühle ich mich schlecht. Erinnere ich mich wieder an seine Aussage, werde ich wütend. Seine Hand greift nach meiner. "Avin, ich wollte dir nichts tun. Ich schwöre es bei Allah." Okay. Trotzdem bin ich reservierter. "Die Aussage mit dem Mörder war asozial und ekelerregend", erwidere ich kühl und er seufzt. "Du hast recht." Habe ich. Und trotz dessen, dass ich mir meiner Sachen bewusst bin, spüre ich, wie die vereisten Wege meines Herzes auftauen. "Verzeih mir. Ich war zu emotional. Das Thema bedeutet mir viel." Und schon wieder spüre ich, wie sich ein Hauch von Leben in die Wege meines Herzes schleicht. Ihn so nachgiebig vor mir sitzen zu sehen, meine Hand zu streicheln und zu drücken beeinflusst mich. "Ich kann dich nicht zwingen, mit Aras zu sprechen, aber es würde mich sehr freuen. Ich mochte eure Katz-und-Maus Spiele. Es tat dir gut. Meinst du nicht, dass mein Bruder trotz der unregelmäßigen Einnahmen doch einen Kontakt wert ist?" In mir sträubt sich so vieles dagegen. Ich möchte es einfach nicht, so nett Aras auch zu mir ist. Es ekelt mich an. Ich kriege das Bild nicht aus dem Kopf, wie er mit einem Joint irgendwo sitzt, die Luft mit dem Gestank verpestet und sich dieser ekelhafte Ausdruck auf sein Gesicht legt.

"Die Verbindung ist doch sowieso beschädigt jetzt." "Sag wer?", fragt Azad mit neuem Hoffnungsschimmer. "Ich habe ihn gemieden." "Das heißt nicht, dass er sich nicht freut, wenn er die Chance hat, mit dir zu sprechen. Er weiß nichts von deinem Trauma, Avin. Davon weiß niemand was. Er weiß nur, dass du so etwas nicht ausstehen kannst und meidet es jedes Mal, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass du dich auch nur im Umkreis von 100 Metern aufhältst." Es tut mir weh, dass seine hellen Augen danach flehen, seinem Zwillingsbruder eine Chance zu geben. Ich kann mich aber nicht einschätzen. Ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn Aras wieder hier ist und wir miteinander reden. "Es war doch schön oder nicht?" War es. Es war wirklich schön. Ich mochte es, ihn zu ärgern, aber ... ich weiß nicht, wie ich mich dabei fühlen soll. Es kommt mir so vor, als würde ich mich selbst damit betrügen. "Ist nicht leicht", setze ich mit belegter, leiser Stimme an. Die Emotionen zerren an meinen Muskeln. "Ich verstehe es. Wir können ihn einladen und dann tastest du dich heran. Ist das okay?" Ich weiß es nicht. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Mein Stolz ist dagegen. Meine Erfahrungen sind dagegen, aber rein logisch betrachtet, mochte ich den Kiffer. Nur kam die Antipathie mit dem Wissen über sein Handeln. Ich seufze tief. "Vielleicht", antworte ich dann. Azads eisblauen Augen leuchten vor Freude. Es legt sich ein zartes Lächeln auf seinen Lippen.

Durch den Weg deines HerzesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt