Kapitel 3 (2/3)

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Ich fasste mir zittrig an den Hals. Die ganze Nacht über hatte ich es nicht getragen und die Stelle an meiner Haut fühlte sich auf einmal seltsam kribbelig und leer an. Und ich fühlte mich noch nackter, als ich es eh schon war. Seit meiner Geburt hatte ich es jede Sekunde getragen, nie länger als zum Waschen oder Umziehen abgelegt.
Als Kind bekam man immer und immer wieder eingebläut, es niemals selbst zu öffnen, sollte es nicht unbedingt notwendig sein. Am besten, man fasste es nicht mal an. Nur der Herr hatte es seinem Sklaven abzunehmen, wenn er es wünschte.

Ich versuchte meine Schnappatmung zu beruhigen und etwas herunterzukommen. Ich war kein kleines Kind mehr, ich musste nicht in Panik verfallen und konnte ruhig darüber nachdenken.
Wenn meine Kleidung ebenfalls fehlte, dann musste sie mein Herr genommen haben. Und höchstwahrscheinlich sollte mein Halsband dann auch darunter sein.

Ja... ja, das klang doch ganz plausibel, oder?

Trotzdem tat mir auf einmal alles weh und ich versteifte mich, als würde ich unter Strom stehen. Ich kniff die Augen zusammen.
Es war alles gut. Ich müsste es nur... irgendwie wiederbekommen. Das sagte ich mir wieder und wieder, während ich versuchte den Anweisungen meines Herrn zu folgen und mich endlich zu duschen.
Doch mein Puls wurde immer schneller. Beim Abtrocknen, beim Anziehen und auch, als ich aus dem Bad trat.

Das Halsband abzulegen... Es war die dümmste Idee, auf die man kommen könnte. Sie versprach nichts weiter als Angst und Schmerz. Wieso hatte ich es überhaupt angefasst? Hätte ich es nicht einfach beim Duschen tragen können? Dann wäre es halt nass geworden, na und? Zumindest müsste ich dann jetzt nicht um mein Leben fürchten!

Nein. Warte. Ich fasste mir an den Kopf und versuchte abermals durchzuatmen. Im Moment war doch gar nichts. Ich musste mich nicht fürchten, zumindest nicht so.
Wie damals.

Also richtete ich mich schwerfällig auf und ging die Treppe herunter, wo ich meinen Herrn erwartete. Aber er stand nicht im Flur und wartete bereits ungeduldig auf mich, wie ich schon fürchtete. Weit und breit keine Spur von ihm oder den Katzen.
Wäre das nicht meine Chance? Nur mal kurz nach dem Band zu suchen, bevor er bemerkte, dass ich es gar nicht trug. Wahrscheinlich war ihm nicht mal klar gewesen, dass es zwischen den Sachen gesteckt hatte.
Ja, ja, das klang gut. Sehr gut.

Mit leisen Schritten in dem großen Pullover und der faltigen Jeans tippelte ich zu den angrenzenden Zimmern, die allesamt durch eine Tür versperrt waren. Natürlich spielte ich hier auch mit dem Feuer, aber wenn ich dadurch das Band zurückbekam... sollte es mir recht sein.

Hinter der ersten Tür erwartete mich anscheinend das Wohnzimmer. Eine gemütliche Couch, ein Sessel mit Fernseher und ein paar Kommoden. Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, warum hier irgendwo mein Halsband sein könnte, aber ich musste auf Nummer sicher gehen.

Deshalb schlich ich wie ein Dieb hinein und blickte mich unsicher um, bevor ich damit begann in den Schränken herumzukramen. Alles so, dass nichts unordentlich zurückblieb oder man darauf schließen hätte können, dass ich an ihnen herumgewerkelt hatte.
Meine alten Sachen hatte er bestimmt nicht in einen der Schränke gelegt, aber vielleicht war ihm doch das Halsband aufgefallen. Dann müsste er es ja irgendwo gelassen haben.
Ganz egal was, wann und wo, ich wollte es einfach nur so schnell wie möglich zurück.

Plötzlich spürte ich einen zischenden Schmerz an meinem Oberarm und dann, wie ich grob herumgedreht wurde. Ehe ich überhaupt feststellen konnte, was vor sich ging, traf mich eine große Hand im Gesicht und riss es mit einem lauten Klatschen herum.

»Sag mal spinnst du!?«, brüllte ein wütende Stimme. Ich wurde hart geschüttelt. »Was machst du hier an meinen Sachen, hm? Hast du was geklaut oder wolltest du ein Feuer legen oder so? Euch traue ich doch alles zu, ihr Unruhestifter!«

Erschrocken blickte ich in die zornigen Augen meines Herren. Ich wollte dem Reflex folgen, mir an die brennende Wange zu fassen, aber ich wurde kräftig festgehalten.
»V-Ver...«, stotterte ich ängstlich. So hatte ich ihn noch nicht gesehen. Nicht mal, als ich ihn hatte stehenlassen oder als mit ihm ausgerutscht war.

»Halt die Klappe!«, brüllte er. Es folgte die zweite Ohrfeige, die mich verstummen ließ. »Ich will kein Wort hören! Was denkst du dir eigentlich? Was wolltest du in meinem Wohnzimmer?«
Ich war so verwirrt. Er hatte mir doch befohlen nichts zu sagen und jetzt forderte er mich auf, etwas zu sagen? War das nur hypothetisch oder wollte er wirklich eine Antwort? Ich kniff die Augen zusammen.

»Ich hab dich was gefragt!«
Die dritte Ohrfeige. Und eine wirklich harte. Meine Lippe fing an zu bluten und es schmeckte so ekelhaft metallisch.
»N-Nur mein Halsband...«, wimmerte ich ängstlich. »D-Das h-habe ich gesucht... I-Ich wollte nicht...«
Meine Herr schüttelte mich erneut kräftig, sodass ich sofort mit sprechen aufhörte. »Und dann läufst du einfach hier herum, als gehörte dir alles? Was denkst du dir dabei?«

Isaac

Genug. Das war genug.

Ich gab mir einen Ruck und ließ ihn los. Kopfschüttelnd wollte ich das Wohnzimmer verlassen. Als er mir nicht folgte, meinte ich ärgerlich: »Komm. Los.«

Es war so klar, dass es kommen würde. Sklaven, man sagte sie wäre loyal mit einer strengen Hand und unter einer guten Führung. Aber sie hatten doch alle nichts außer Flausen im Kopf. Und ich war mir sicher, dass dieser Junge irgendwas plante. Irgendwas.

Im Moment wollte ich alles, außer ihn mit auf Arbeit zu nehmen, aber mir blieb nichts anderes übrig. Die Nacht hatte ich schon damit zugetragen, mir den Kopf zu zerbrechen und potenzielle Händler herauszusuchen, die mir den Jungen abkaufen könnten. Aber solange könnte ich ihn nicht hier lassen. Das eben hatte schon wieder alles bestätigt, meine ganzen Annahmen. Wenn er alleine blieb, würde er sofort weglaufen und vielleicht noch das Geld aus dem Haus mitnehmen.
Das würde ich sicher nicht zulassen.

Da fiel mir auf einmal der Grund in meiner Jackentasche ein, wegen dem er angeblich hiergewesen wäre. Ich holte das Halsband heraus und warf es meinem Sklaven zu, der es ungeschickt auffing und sich eilig umlegte.
Es war unter den Sachen gewesen, die ich gestern weggeräumt hatte. Jetzt trug er meine alten Kleider aus Unizeiten. Sie passten zwar nicht, aber damit musste er jetzt leben. Zumindest sah er nicht mehr aus, als hätte ich ihn irgendwo von der Straße gezogen.

An der Haustür schnappte ich mir die eine Übergangsjacke, die ich noch irgendwo herumliegen hatte und ein paar abgelaufene Schuhe, und überreichte sie meinem tollen Sklaven, der überrascht zusammenzuckte. Dann schnappte ich mir meine Tasche und wartete ungeduldig, das er hinmachen würde.

Die verzwickte Kunst des VertrauensWhere stories live. Discover now