Kapitel 10 (2/3)

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Und irgendwann war es soweit, dass der Nachmittag hereinbrach und die Praxis schloss. Wir hatten noch nicht viel miteinander gesprochen, auch nicht während der Autofahrt und auch nicht, als wir vor dem Anwesen, abseits der Stadt, hielten.

Nachdenklich schaltete ich den Motor aus und bettete meine Hände im Schoß. Killian neben mir wollte bereits aussteigen, aber ich hielt ihn zurück und zog sein Gesicht zu mir.

»Du sollst wissen...«, begann ich mir zurecht zu stottern. »Also... ich habe... die letzten Nächte gesucht und bin auf diesen Verkäufer gestoßen. Was ich sagen möchte...«

Sein Kopf glitt zur Seite. Er sah mich nicht an. Er war weiterhin enttäuscht. Natürlich.

»Ich will sagen, dass ich dich nicht an jemanden geben werde, der nicht gut für dich sorgen würde, ja?« Zwar war sein Blick zur Straße gerichtet, aber seine steife Haltung und die angespannten Hände zeugten von seiner Ablehnung. »Wir sind uns nähergekommen und ich gebe zu, dass ich irgendwo Gefühle für dich habe. Aber du kannst nicht bei mir bleiben. Das geht einfach nicht. Ich kann nicht für dich sorgen, dann kommt nur sowas heraus, wie deine Arme.«

Killian hörte mir nicht zu - zumindest schien es so. Seine gespitzten Ohren nahmen allerdings jedes Wort auf. Kläglich meinte er: »Warum? Was gibt Euch Sicherheit?«

Lautes Seufzen. Mein Inneres ließ es nicht zu, seine kleinen Hände zu greifen und ein letztes Mal zu küssen. Es fühlte sich an, als würde man mir etwas aus dem Körper reißen und tiefe, einsame Leere hinterlassen.


Killian

Die Stunde war anscheinend gekommen.

Mein Herz pochte so wild wie nie zuvor, als wir vor dem Laden hielten, den ich zugut kannte. Hier hatte Björn Peters das Sagen - der Mann, den ich gehofft hatte, nie wiedersehen zu müssen. Mit seiner brutalen und rücksichtslosen Art, hatte er sich mir ins Gedächtnis gebrannt.

»Wollt Ihr das...«, begann ich, biss auf die Lippe. Ich konnte nicht kampflos aufgeben. Ich hatte gewusst, dass es bald soweit sein würde - und doch hatte ich den ganzen Tag gehofft, mein Herr würde mir meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen. Ein Zuhause.

»Wollt Ihr es wirklich so enden lassen?« Zwar fing ich seinen Blick ein, doch er wich mir abermals aus. »Wollt Ihr wirklich weitergehen und mich... verkaufen?«

»Ja.«, kam es von ihm ohne zu zögern. Sein Gurt schnellte zurück und die Tür fiel zu, als er das Auto verließ.

War ich ihm langweilig geworden, nur eine Puppe gewesen, mit der er hatte spielen können? War ich denn gar nichts wert, dass es sich lohnte mich zu halten und zu lieben? Das alles konnte doch nicht enden, nicht so abrupt und herzlos, obwohl es gerade erst begonnen hatte.

Aber mein Herr trat herum und hielt mir die Tür auf. Seinem stillen Befehl folgend, trat ich nach draußen und lief ihm hinterher, als er mich in mein neues Verderben führte.

Der hohe Eingang war mir gut bekannt. Selbst der lange Teppich und die dunkelgrüne Garderobe schwebten irgendwo in meinen Erinnerungen herum. Erschreckend, wie wenig sich dieser Ort verändert hatte. Dieses alte, große Haus war noch genauso düster wie vor sechs Jahren.

»Killian.« Demonstrativ sah ich weg, als mein Herr mich ansprach, egal ob es ihn interessierte oder nicht. Wenn er das wirklich tat, würde ich ihm das nicht verzeihen. »Sei mir nicht böse. Es ist zu unserem beiden Besten. Du hast erlebt, wie ich sein kann, wenn alles... zu viel wird. Willst du etwa bei sojemandem bleiben?«

»Alles ist besser als bei Bjö...«

»Willkommen.« Ein Sklave in schlichter Weste tauchte auf und verbeugte sich tief. Beim Aufrichten stachen das blaue Auge und die Schrammen in seinem Gesicht hervor. Wahrscheinlich ein Neuer, der erstmal erzogen werden musste. »Wie darf ich Euch weiterhelfen?«

»Ich hatte heute einen Termin.«, erklärte mein Herr monoton. Der Sklave trat zu dem Tresen und überprüfte die Verabredung. Danach bat er uns, ihm zu folgen und führte uns in ein kleines... Büro? Eher eine Mischung aus Warteraum und Versicherungs-Filiale.

»Setzt dich doch hin.«, wagte mein Herr vorsichtig, als wir alleine waren. Aber ich blieb hinter ihm stehen und verstärkte die Arme artig. Wenn ich verkauft werden würde, dann als Sklave und nicht als... Spielball dieses Mannes.

Mein Arm wurde ergriffen und untersucht, bis mein Herr meine Hand in seiner hielt. »Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?«

»Lasst mich bei Euch blieben. Bitte. Mehr will ich gar nicht.«, sprach ich ganz ehrlich aus, was ich dachte.

»Ich kann nicht, das kann ich einfach nicht, versteh doch!«

»Das werde ich nicht verstehen, mein Herr.«, sagte ich scharf. »Dafür bin ich zu dumm und ungebildet.«

Damit wandte er sich um und ich atmete zittrig ein. Mein Herz raste noch schneller als zuvor. Gleich würde meine Existenz wieder an jemand anderes gehen.

»Wovor habt Ihr solche Angst?«, fragte ich. Der Körper vor mir fuhr zusammen. Ein Knackpunkt? »Ihr könnt doch nichts falsch machen. Was soll geschehen, was glaubt Ihr, werde ich Euch antun?«

Stille erfüllte den Raum mit der tickenden Kuckucksuhr und mit dem ganz gegensätzlich hochauflösendem Fernseher, der für Präsentationen gedacht war. Der Raum so suspekt wie sein Besitzer.

Nichts weiter kam von meinem Herrn. Wohl mit der ganzen Sache abgeschlossen, saß er dort seelenruhig auf seinem Stuhl, während ich mich krampfhaft davon abhielt, zur Tür zu starren. Bei der Anspannung wurden mir die Knie ganze weich, als die Tür geöffnet wurde und tatsächlich der Mann eintrat, vor dem ich mich so fürchtete. Mein Blick war gesenkt, die Schultern gerade - Trotzdem spürte ich die Aufmerksamkeit, die auf mir lastete.

Der Mann mit den abstehenden Haaren, dem breiten Kreuz und den eingedrückten Augen, gab meinem Herrn die Hand und setzte sich ihm dann gegenüber an den Schreibtisch.

Alles in mir wollte sich an meinen Herrn schmiegen, mich hinter ihm verstecken, um Schutz betteln. Warum unter den ganzen Verkäufern der Stadt, musste es ausgerechnet dieser Bastard sein, an den mein Herr trat?

»Haben Sie gut hergefunden, Mr Lain?«, brachte die kratzige, fast schon brüchige Stimme hervor. »Im Vorfeld bin ich die E-Mail durchgegangen. Ihr Interesse liegt also im Verkauf, ja, hm? Da sind Sie hier genau richtig. Wie heißt es bei uns so schön? Wir nehmen jeden.«

»Es war ein kleines Missverständnis, wie das zustande kam. Für einen Sklaven kann bei mir nicht gesorgt werden. Deshalb hoffe ich, dass er anderswo untergebracht werden kann.«, sprach mein Herr, als wollte er seinen Sohn nur in ein Internat stecken.

»Kein Problem, Mr Lain. Sicherlich werden wir zusammenkommen. Davon bin ich überzeugt.« Björns Blick fuhr zu mir herum und ich zuckte zusammen. »Ist er das?«

»J-Ja...«

»Komm her, Sklave.«, befahl man mit einem müden Wink. Der Boden klebte förmlich, so sehr sträubte sich mein Innerstes, zu diesem Mann zu gehen. Aber ich musste seinem Befehl folgen und erdulden, dass er mein Kiefer brutal packte und zu sich riss.

»Hm... interessant.« Seine leblosen, blauen Augen forschten in meinen und begutachteten meinen Körper von oben bis unten. Gänsehaut überfiel mich. »Sag mal, kennen wir uns nicht?«

Inständig flammte die Hoffnung auf, er würde mich nicht erkennen. Aber natürlich gönnte man nicht mal den Hauch von Mitleid, als Björn ein Grinsen ins Gesicht fiel und er halb erschrocken, halb amüsiert keuchte: »Doch, klar. Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich habe dich erst nicht erkannt, weil du so groß geworden bist. Ein echter junger Mann, was?« Purer Ekel kroch in meine Adern, bei den Worten dieses Schweins.

Ich keuchte überrascht, als eine Hand mich an der Schulter zu Boden drückte, damit ich vor ihm niederkniete. Dann wurde mein Kopf erneut hochgezerrt. »Du bist der Junge mit den Narben, nicht? Der von damals, den die Polizei zu uns brachte.« Zungenschnalzen. »Oh ja, jetzt erinnere ich mich. Du hast einen ganz schönen Aufstand verursacht, nicht wahr? Wenn diese eine Familie dich nicht unbedingt hätte haben wollen, hätte ich dich gerne noch länger behalten. Ein Zufall, dass ausgerechnet du wieder zurückkehrst. Meine ausgeschwärmten Vögelchen kehren heim, was?« Mit einem Ruck zog er mich noch näher. Die gierigen, lusterfüllten Augen ließen mich erzittern. »Aber deinen sturen Blick hast du gewahrt. Den treib ich dir schon noch aus.«

Die verzwickte Kunst des VertrauensWhere stories live. Discover now