Kapitel 9 (2/3)

408 33 8
                                    

Zuerst war ich etwas erschrocken. Killian benahm sich plötzlich, als hätte er kein Anstand mehr und kauerte wie ausgewechselt vor mir, während er knatschend das Bonbon verarbeitete.

Das war er also... der wahre Killian? Was wollte er mir damit sagen? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er so rüpelhaft und ungehobelt sein sollte. Ob er übertrieb, um mir noch mehr demonstrieren zu können?

Aber dieses kleine Funkeln in seinen Augen erlosch nicht mehr. Mattes Grün - so hatte ich sie einmal beschrieben. Aber jetzt leuchteten sie wie mit Leben überflutet. Ein Spiel mit dem Feuer für Sklaven, das wusste ich.

Doch anstatt davon abgeneigt und angewidert zu sein, faszinierte es mich völlig, was für eine Seite mir dieser Junge gerade zeigte.

Einmal war ich davon überzeugt gewesen, Sklaven wären auch nur Menschen, waren genauso wie wir Freie - Bis mir schmerzlich aufgezeigt wurde, wo die Grenzen lagen. Ab da hatte ich angenommen, Sklaven wären nur eine Hülle, die sich bewegte, atmete, und aß.

Pulsierendes Leben - in Killians Augen, in seiner Haltung und auch in seinem kleinen Körper, nachdem ich seine Hand griff.

Sofort spannte er sich an und wollte zurückweichen. Ich hielt ihn fest und beobachtete, wie diese Seite an ihm drohte, wieder zu verschwinden.

»Isaac.«, keuchte ich, in der Hoffnung er würde nicht gehen und sich vor mir verschließen. »Nenn mich heute Abend so. Bitte.«

Unglaube umhüllte ihn. Sein Mund öffnete sich und schloss sich gleich darauf wieder perplex. Das war gut. Er sollte mir zeigen, wie es ihm ging, damit er nicht zu einer emotionslosen Puppe wurde, für die ich Sklaven immer hielt und vor denen ich mich so fürchtete.

»Ihr seid nicht... also ich war... was...«, stotterte er unbeholfen und starrte auf unsere verschränkten Hände. »Eben das war doch... Ihr seid...«

»Froh.«, beendete ich seinen Satz. »Du hast mich gefragt, ob ich mich trauen würde, deine dunklen Seiten herauszufinden. Meine Antwort ist ja. Ja, zeig sie mir! Jetzt. Sofort.«

Er blinzelte so niedlich überfordert, dass ich mein Schmunzeln nicht zurückhalten konnte. Der böse Funken in seinen Augen mischte sich mit dem schönen Grün zu einer leuchtend, starken Farbe - und da wusste ich, dass ich eingedrungen war, in diese eiserne Festung. Selbst wenn nur für ein winziges Stück.

»Auch kein Fetisch?«, fragte er nach einiger Zeit der Stille.

Diesmal lachte ich herzhaft. »Nein, kein Fetisch.«

Die Kellnerin kam wieder. Weil wir eben mit etwas anderem beschäftig gewesen waren, bestellte ich einfach irgendwas von der Karte, von dem ich annahm, es würde uns schmecken. Bestimmt wäre Killian froh, endlich etwas essen zu können.

»Wegen Mittag...« Ich war ebenfalls wie ausgewechselt. Mein Mund trocknete aus und die Worte wollen mir im Hals steckenbleiben. »Warum hast du mir nicht gesagt, wie hungrig du bist? Dann hätte ich doch...«

»Ihr habt gesagt, Ihr werdet mir nichts geben.«, sagte er ruhig und entschlossen. Zwar bemerkte ich seine zitternden Lippen, die den Anschein geben wollte, er fürchtet sich nicht, aber er war gut darin, nicht zu viel zu zeigen. Diese Seite an ihm verunsicherte mich aber auch - fast, als wäre ich wirklich mit einer Person, in die ich verschossen war, auf einem Date.

»Und dann hattet Ihr heute morgen so eine schlechte Stimmung...«, langsam brach sich seine Stimme. »Ich wollte nicht klauen... also...« Er räusperte sich um Fassung ringend.

Ich strich mit der Fingerspitze über seine angespannte Hand. »Du brauchst nicht so stark tun, ich habs verstanden.«, seufzte ich. »Es tut mir leid. Was ich getan habe, wollte ich nicht.«

Der Gedanke daran, was ich gerade ansprach, trieb Schweiß auf meine Stirn. Bisher hatte ich noch nie jemandem wirklich davon erzählt. Meine Eltern, meine Freunde und Bekannten wussten es alle schon. Niemals hatte ich dieses Thema von mir selbst aus begonnen. Und ich spürte, dass ein Schmerz in meiner Brust schrie, mich zurückzuziehen und wütend zu werden, weil ich mich bedrängt fühlte.

Aber ich riss mich schwer schluckend zusammen. »Die Situation im Supermarkt, mit den Polizisten und den Geräuschen und den Gerüchen - es war alles zu viel.« Ich hob meinen Blick. Killian sah mich an. Er hörte mir zu. »Das ist keine Entschuldigung. Aber ich musste mich abreagieren - natürlich nicht so... Das hatte ich nicht gewollt. Dabei weiß ich es doch besser, habe miterlebt was passiert, wenn man Menschen so ausbeutet und misshandelt werden, dass alles eskaliert...« Ich holte tief Luft. Was redete ich da? »Wahrscheinlich ist es dir sowieso egal, dass ich dich geschlagen habe. Die Wunden verheilen und mich siehst du nach morgen eh nicht wieder.«

Ich ließ ihn los und zog mich zurück, strich über meine Arme, auf denen sich Gänsehaut bildete. Killian war nicht der einzige, der seine Mauer niederlegen musste.

Killian

Tränen sammelten sich in meinen Augen und liefen über meine Wangen. Mich hatte nie interessiert, was mit mir geschah, Hauptsache ich hatte die Chance bei einem Herrn bleiben zu dürfen, endlich anzukommen. Aber jetzt war mir diese Tatsache egal, jetzt war es auf einmal anders und ich fühlte mich hintergangen und ausgenutzt. Welch Ironie.

»Natürlich...«, fing ich an zu wispern. »Ist es mir nicht egal.«

Verwundert blickte mein Herr auf und musterte dann besorgt meine Tränen. Was hatte er an sich, dass ich all meine Vorsätze über den Haufen warf? Die Nächte miteinander und gestern... Was fühlte ich da?

»Es tat weh.« Ich berührte meinen verbundenen Arme unter dem langen Pullover. »Was unterscheidet Euch von meinen vorherigen Herren? Ihr seid der erste gewesen, der mich geküsst hat, der mich so zärtlich gestreichelt hat. Und dann hat es mich so verletzt, als Ihr...«

Fest kniff ich die Augen zusammen und hielt ein lautes Schluchzen zurück. Abhängig - ja, noch nie zuvor hatte ich mich so abhängig von jemanden gefühlt, nicht bei achtzehn Jahren Sklaverei. Es war immer dieses Wissen, dass sie vielleicht meinen Körper, aber niemals meinen Geist besitzen konnten.

Doch mein neuer Herr nahm mich gänzlich ein.

»Shhh...«, hörte ich es, dann ruckelte das Sofa, auf dem wir im Eck saßen und ich spürte einen Arm um meinen Schultern. Langsam schlug ich die Augen auf. Mein Herr hob mein Kinn und küsste mich behutsam. Als er mich ließ, lief ich rot wie eine Tomate an.

Nervös sah ich mich um, als er nicht vorhatte, mich loszulassen. »Mein Herr... die Leute dort hin gucken schon.« Und zwar nicht sehr angetan von uns beiden.

»Dann lass sie doch gucken.«, meinte er lächelnd.

Eine Sklave mit seinem Herrn im Restaurant - und dann auch noch so aneinander geschmiegt... Trotz allem, wie und was ich in den letzten Jahren gelebt hatte, fühlte es sich verdammt gut an. Das war wieder diese Wärme, die mein Herz zum Springen brachte, die meinen Kopf leerfegte und nur noch mit Bildern und Worten meines Herrn auslegte.

Ich wollte ihm nahe sein. Noch näher. Ich wollte mich fallenlassen und an nichts mehr denken müssen.

Die verzwickte Kunst des VertrauensDonde viven las historias. Descúbrelo ahora