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Nikolais Gedanken überschlugen sich, als Kompaniefeldwebel Reiser vor einer massiven Tür stehenblieb. Die Folterkammer? Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Dabei gruben sich seine Fingernägel so tief in seine Haut, dass ein stechender Schmerz durch seinen Körper jagte. Er war nicht zugegen gewesen, während der Lagerkommandant über sein Schicksal entschieden und Reiser die Verantwortung dafür übertragen hatte, denn man hatte ihn vor der Lagerkommandantur warten lassen. Nun stand er hier und wusste nicht, was mit ihm geschehen würde. Seine Gefühle überschlugen sich.

Mit einem Quietschen schwang die Tür auf. Dahinter war nichts als Finsternis. Erst als der Kompaniefeldwebel mit seiner Petroleumlampe hineinleuchtete und sie auf einem kleinen Tisch an der Wand abstellte, konnte Nikolai etwas erkennen – wobei es eigentlich nicht viel zu sehen gab. Wände aus Holzbrettern, fensterlos, ein Stuhl in der Mitte. Verstohlen suchte er mit den Augen den Raum ab, doch da war tatsächlich nichts weiter. Keine Zangen, Peitschen, glühende Eisen, Ketten ... Keine Folterinstrumente. Trotzdem wagte Nikolai nicht, aufzuatmen. Wer wusste, welche Methoden sie anwenden würden?

„Setzen."

Der Feldwebel wies auf den Stuhl, während die beiden Wachsoldaten die Tür schlossen. Einer blieb im Raum, der andere nahm draußen Aufstellung.

Nikolai ließ sich kein zweites Mal bitten. Erleichtert sank er auf den Stuhl nieder, unsicher darüber, wie lange seine Beine ihn noch getragen hätten. Sein Mund war staubtrocken, doch zu seiner eigenen Verwunderung verspürte er keine Panik. Stattdessen fühlte er sich seltsam leer – ausgelaugt, müde, resigniert. Er kannte dieses Gefühl, auch vor dem Krieg schon. Es war ein Zustand vollkommener geistiger und körperlicher Überforderung, sodass ihm beides den Dienst versagte, ihn in einen schützenden Mantel aus Nichts hüllte: nichts denken, nichts spüren, nichts tun. Ein angeborener Schutzmechanismus gegen die Überreizung durch die schnelllebige und moderne Welt. Offensichtlich funktionierte er sogar in bedrohlichen Momenten wie diesen. Nikolai war dankbar dafür.

„Sooo", begann Reiser, lehnte sich gegen den Tisch, kreuzte die Beine und verschränkte die muskulösen Arme. „Dann wollen wir mal, nich' wahr?"

Nikolai fixierte den Boden.

„Also...Leutnant. Was wissen Sie? Aus dem Dokument geht hervor, dass General Brussilow eine Offensive plant. Wann und wo soll sie stattfinden?"

Wie beim letzten Mal sprach der Kompaniefeldwebel besonders langsam mit ihm. Leider änderte das nichts an der Tatsache, dass Nikolai nicht fähig war, nur einen einzigen Buchstaben zu sprechen. Auch in seiner Kehle und seinen Stimmbändern herrschte das Nichts. Das kannte er nicht von damals, aber es war so. Er brachte keinen Ton heraus. Seine rastlosen Finger tippelten beständig auf seinen Oberschenkel.

„Na? Können oder wollen Sie nichts sagen?"

Nikolai sah nicht einmal auf. Er hörte, wie der Kompaniefeldwebel den Rotz hochzog. An den schweren Schritten erkannte er, dass er sich ihm näherte. Ein leeres Blatt Papier und ein Bleistift tauchten in seinem Blickfeld auf.

„Schreiben Sie's auf, kein Problem."

Nikolai nahm die Gegenstände entgegen, ohne Anstalten zu machen, die Anweisung in die Tat umzusetzen. Er hielt das Papier derart fest, dass es zerknitterte.

„Was is'? Können Sie plötzlich nich' mehr schreiben?"

Sekundenlang starrte Nikolai auf das Blatt und den Stift. Er wollte ja. Wirklich. Er setzte sogar einmal an, um es zu versuchen, doch erfolglos. Seine Hand gehorchte ihm nicht, wollte um nichts in der Welt schreiben. Ein lautes, trompetendes Geräusch ertönte, sodass Nikolai zusammenzuckte und ruckartig den Kopf hob. Reiser schnäuzte in ein löchriges, zerfleddertes Stofftaschentuch. Als er fertig war, wischte er sich die Nase damit ab, schniefte und verstaute es in seiner Tasche.

Der schwarze SchwanWhere stories live. Discover now