14.

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Albträume marterten ihn jede Nacht.

Pjotr erschien ihm oder die verbrannten Leichen, der Mann mit dem Skizzenbuch, Schlachtfelder, Berge von Gefallenen, der Bunker...

Jedes Mal wachte er nassgeschwitzt, zitternd oder vollständig gelähmt auf.

Wirre Bilder in seinem Kopf plagten ihn und manchmal war er sich nicht mehr sicher, ob sie die Wirklichkeit oder eine unreale Szene, die ihm sein gequälter Geist vorgaukelte, abbildete.

Lediglich im Verhör war sein Verstand klar. Es war, als würde er dadurch wachgerüttelt werden, als hole ihn irgendetwas aus den Tiefen seiner Verwirrtheit und schärfe seine Sinne stärker denn je. Er nahm alles wahr. Jede noch so kleine Regung des Majors, jede winzige Veränderung in der Tonlage, jede Auffälligkeit an ihm und sei sie noch so unbedeutend. Mit einem Mal wurde er der winzigen Schramme im rechten Handschuh seines Peinigers gewahr, ihm fiel auf, dass er oft gegen Ende des Verhörs seine Pfeife rauchte, dass er sich manchmal beim Aufstehen auf den Spazierstock stützte, was darauf schließen ließ, dass er nicht nur als schmückendes Beiwerk diente und er stellte fest, dass von Hohenstein nicht nur auf Worte wie Schuld, Sünde und Vergebung reagierte, sondern selbst auf Ausdrücke wie Feuer und Verantwortung.

Er merkte, dass der Major stets eine andere Antwort gab, wenn man ihn nach dem Geschmack seines Tabaks fragte. Nikolai kam zu dem Schluss, dass er entweder nur so tat, als würde er rauchen oder dass er ein Liebhaber von verschiedenen Geschmacksrichtungen war.

„W...wie schmeckt Ihre Pfeife heute, Major?", erkundigte Nikolai sich unschuldig. „S...Sie scheinen einen vielseitigen Geschmack zu haben."

Von Hohenstein rutschte auf seinem Stuhl hin und her, offenbar auf der Suche nach einer gemütlichen Position. Seine Augen versprühten Funken.

„Das ist nicht Ihre Angelegenheit, Leutnant. Was wissen Sie?"

Nikolai schüttelte den Kopf. „Ich werde Ihnen k...keine Informationen zur Offensive verraten."

„Ich meine, was Sie über mich wissen und woher."

Nikolais Blick fiel auf die verwaisten Plätze von Reiser und Schwarzer. Sie waren bei den letzten Verhören nicht dabei gewesen. Das konnte kein Zufall sein. Von Hohenstein war wachsam geworden und er fürchtete augenscheinlich, Nikolai könnte etwas aufdecken, das niemand wissen durfte. Er musste also wahrhaftig ein Geheimnis haben.

„G..Gar nichts."

„Sie lügen."

„N...nein."

„Ich bitte Sie. Diese ständigen Andeutungen zu Themen wie Schuld und Sünde, Sie müssen etwas wissen."

Aha, dachte Nikolai, er verrät sich gerade selbst. Sehr gut, das hatte er erreichen wollen.

„G...Gibt es denn etwas, was ich wissen s...sollte?", fragte er keck nach, wohlbewusst, auf welch dünnes Eis er sich gerade begab. Ein falscher Schritt, er würde einbrechen und wäre für immer verloren.

„Ich weiß nicht, was Sie sich von Ihren Anspielungen erhoffen, aber es sei Ihnen gesagt, dass ich die Macht besitze, Sie innerhalb eines Wimpernschlages umzubringen."

Nikolai atmete tief durch und stellte eine gewagte Frage: „W...warum t...t...tun Sie es dann nicht?"

„Das wissen Sie."

Nikolai musterte den Major aufmerksam und zum ersten Mal konnte er sogar in seinen Augen einen Hauch von Ausdruck erkennen. Ihm stockte das Herz, als er begriff, was es war, hatte er doch gedacht, dies sei ebenfalls eine für ihn, Nikolai, typische Eigenschaft.

Der schwarze SchwanWhere stories live. Discover now