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Noch lange machte sich Nikolai Gedanken über die Zeichnung und die Worte, mit denen sie versehen worden war.

R.v.H.

Die Abkürzung v.H. stand für von Hohenstein, das war gewiss. R. musste sein Vorname sein. Irgendwie interessierte es ihn brennend, wie der Major wohl heißen mochte, wie ihn seine Familie und Freunde nannten, sofern er denn welche besaß. Da er von Einsamkeit gesprochen hatte, vermutete er, dass sie bei ihm wohl eher eine Mangelware darstellten.

Gleichzeitig verwirrte ihn irgendetwas an der Zeichnung. Als er sie noch einmal betrachtete, kam er zu dem Schluss, dass es der Stil war. Ihm kam der Bleistiftstrich bekannt vor, diese Lockerheit darin, die allerdings nicht mit einer Reduktion von Details einherging, im Gegenteil. Von Hohenstein hatte seine Gesichtszüge erstaunlich exakt festgehalten, ebenso die Stimmung der ganzen Szenerie. Fieberhaft überlegte er, woran ihn diese Art zu zeichnen erinnerte, kam jedoch nicht darauf. 

Außerdem verstand er nach wie vor nicht, was dieser Mann mit dem seltsamen Ausflug hatte bezwecken wollen. Hatte er geahnt, dass er, Nikolai, die Beherrschung verlieren und ihm endlich sagen würde, was er wissen wollte? Aber warum hatte er dann nicht weitergefragt? Natürlich war es von Vorteil, das Datum zu kennen, an dem die Offensive beginnen sollte, aber viel würde das allein nicht nützen.

Wollte oder brauchte er die Informationen nicht mehr? Warum saß er dann immer noch hier, in dieser grauenvollen Zelle und warum bekam er mit einem Mal so viel mehr zu essen, dass er sogar wieder satt wurde und an Gewicht zulegte?

Selbst ein Gespräch mit Iwan brachte ihm keine Erleuchtung.

„Keine Ahnung, Bübchen, das ist alles so undurchsichtig, ich tue den Überblick verlieren."

„Hatten wir denn je einen?"

„Ich sicher nicht, aber du als Adeliger tust doch so schlau sein."

Nikolai verdrehte die Augen. Das war einer der Gründe, warum er Dinge wie die Zeichnung vor diesem Mann verschwieg. Sie waren zu unterschiedlich, um sich einander wirklich anvertrauen zu können. Von Hohenstein hatte recht, wenn man im Schatten wandelte, war man allein, es gab niemanden, der einen verstehen konnte. Man wurde stets nur für seine Handlungen verurteilt.

„Was ist, Bübchen? Tut es dir ausnahmsweise mal die Sprache verschlagen haben?"

Nikolai antwortete nicht. Er starrte die gegenüberliegende Wand an und wünschte, er könnte sich der Müdigkeit hingeben, die nicht mehr aus seinen Knochen weichen wollte.

„Bübchen? Was ist los mit dir? Willst du mir keinen neuen Auftrag für Otto geben?"

Nikolai schüttelte den Kopf. „Nein."

„Hä? Wieso nicht?"

„Weil es keinen Sinn hat. Ich kann von Hohenstein nicht besiegen."

Iwan schwieg überrascht und blinzelte ihn verwirrt an.

„Woher tut diese plötzliche Meinungsänderung kommen?", fragte er schließlich. „Was ist auf eurem Spaziergang passiert?"

Nichts, dachte Nikolai, nur dass ich trotz aller Bemühungen den Verstand verloren habe und kurz davor war, mich von dem Major umbringen zu lassen, damit ich all das hier nicht mehr ertragen muss.

Er sprach es nicht laut aus.

„Ich dachte, du tust so ehrgeizig sein?"

Auch darauf antwortete er nicht. Er wusste schlichtweg nicht, was er sagen sollte.

„Sag bloß, du hast aufgegeben?"

Nikolai zuckte mit den Schultern. Mehr fiel ihm dazu nicht ein. Völlig unerwartet packte Iwan ihn am Oberarm. „He, Bübchen, das ist doch nicht dein Ernst?"

Der schwarze SchwanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt