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Ihm wurde immer häufiger Hofgang gewährt und stets folgte auf die anfängliche Freude, an die frische Luft zu kommen, eine Panikattacke, wenn er in seine Zelle zurückkehren musste. Da erkannte er den Sinn hinter all dem, denn er war sicher, dass von Hohenstein genau darauf abzielte. Es war eine besonders grausame Art der Folter, Zuckerbrot und Peitsche, die ihn mehr und mehr zermürbte. Er aß kaum noch, weil seine Kehle wie zugeschnürt war, sodass er keinen Bissen hinunter bekam.

Sein einziger Lichtblick war Otto, der es gelegentlich so einrichten konnte, dass er ihn bewachte, sodass sie sich austauschen konnten, doch Iwans Freund hatte nichts weiter herausfinden können.

„All meine Spuren verlaufen sich im Sand", murmelte Nikolai zerknirscht.

„Von Hohenstein scheint alles andere als dumm zu sein, Herr Leutnant."

Ein Gedanke begann in ihm zu sprießen, der so verrückt war, dass er es kaum wagte, ihn laut auszusprechen, aber mit jedem Schritt, den er tat, wuchs er, sodass er bald keinen Platz mehr in seinem Gehirn fand und Nikolai ihn mitteilen musste.

„Wenn von Hohenstein das Lager so gut wie nie verlässt, muss er hier ein Quartier haben und ich bin sicher, dass sich da so einiges finden lässt."

„Was wollen Sie damit andeuten?"

Ottos Stimme klang beinahe ängstlich. Offenbar ahnte er, worauf Nikolai hinauswollte.

„Meinst du, du kannst dort eindringen?"

„Herr Leutnant...", begann der Soldat schockiert.

„Ja oder nein?"

„Selbst wenn das möglich wäre, das ist zu riskant."

Ein weiterer Gedanke keimte in ihm, der ihn regelrecht fesselte und sein Blut in Wallung brachte. Eine Erregung, die er lange nicht mehr verspürte hatte, ergriff von ihm Besitz und ließ ihn nicht mehr los.

„Und wenn ich es selbst tue?"

„Sie sind ein Gefangener, wie stellen Sie sich das vor?"

„Vielleicht könntest du mir eine deutsche Uniform besorgen."

„Man würde Sie auf den ersten Blick als Gefangenen erkennen, Herr Leutnant. Vor allem der Bart und das ungepflegte Haar würde Sie verraten. Rasieren können Sie sich nicht, denn das wiederum würde von Hohenstein auffallen und ihn alarmieren."

Bei längeren Sätzen wie diesen fiel es Nikolai manchmal noch schwer, Deutsch zu verstehen. Major von Hohenstein sprach ungewöhnlich langsam, sodass er bei ihm keine Probleme hatte, Otto hingegen tat das nicht. Wider Willen musste er Iwans Freund bitten, seine Aussage zu wiederholen. Erst dann begriff er und musste sich eingestehen, dass Otto recht hatte. Es war ein schlechter Einfall gewesen.

„Irgendetwas müssen wir doch tun können", stieß er frustriert hervor. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass es nicht möglich sein sollte, von Hohensteins Geheimnis zu lüften. Er wollte nicht wieder das wehrlose Opfer sein und vor allem wollte er nicht aufgeben, niemals.

Allein aus Prinzip nicht.

Eines Tages, als er dachte, er würde erneut zum Hofgang geführt werden, brachte ihm der Wachsoldat eine Waschschüssel, einen kleinen Spiegel und Rasierutensilien mit und warf sie achtlos auf die Pritsche.

„Rasiere und wasche dich, Major von Hohenstein will dich sehen."

Nikolais Blick huschte zwischen den Gegenständen und dem Soldat hin und her. Was sollte das heißen, der Major wollte ihn sehen? Würde er erneut verhört werden? Warum sollte er sich dafür rasieren? Das war ihm noch nie gewährt worden. Er beschloss, sein Glück nicht zu hinterfragen und machte sich mit übertriebener Hast daran, sich endlich von diesem störenden, demütigenden Bart zu befreien, wobei er Mühe hatte, seine Hände vor Aufregung ruhig zu halten, damit er sich nicht aus Versehen schnitt.

Der schwarze SchwanWhere stories live. Discover now