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„Iwan?"

Nikolai presste das Ohr gegen die Wand und schickte seine geflüsterten Worte durch das Loch, durch das der Kosake ihm den Stift zugesteckt hatte.

„Komm schon, Iwan. Es... nun ja..."

Es tut mir leid. Vier einfache Worte, leicht auszusprechen. Eigentlich. Fakt war schlichtweg, dass er seine Tat nicht bedauerte. Es gab vieles, was er bereute und was er gerne rückgängig machen würde, aber Iwan mit seinen eigenen Waffen geschlagen zu haben, erschien ihm nur gerecht. Trotzdem, hier ging es um seinen eigenen Vorteil, also musste er etwas hervorbringen, das zumindest Ähnlichkeit mit einer Entschuldigung aufwies. Er wollte nicht wieder wahnsinnig werden, nun, da sein Verstand nach von Hohensteins Besuch wieder klar war. Er konnte nicht begreifen, dass dies ausgerechnet sein größter Widersacher geschafft haben sollte, doch was er über die Kunst gesagt hatte, ließ Nikolai nicht mehr los. Er hatte geklungen, als wäre er selbst ein Künstler. Welcher Art wohl? War er etwa ebenfalls ein Tänzer? Nein, das konnte nicht sein. Iwans Informant hatte nichts dergleichen erwähnt. Von Hohenstein war Berufssoldat durch und durch.

Nikolai wurde nicht schlau daraus, warum der Major ihm diese Einblicke in seine Person gewährt hatte. Taktik schloss er dieses eine Mal aus. Aus seiner darauffolgenden Reaktion ging hervor, dass seine Aussage nicht geplant gewesen war. Hatte er sich schlichtweg hinreißen lassen? Hatte er recht und von Hohenstein hatte ebenfalls niemanden zum Reden, sodass er sich verzweifelt an jeden klammerte, der sich ansatzweise dafür eignete? Er beschloss, diese Überlegungen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben und sich für den Moment Iwan zu widmen. Er musste die Sache mit ihm geradebiegen, ansonsten würde er immer wieder solche Anfälle erleiden.

„Weißt du, Iwan, manchmal bin ich ein Idiot."

Immer noch keine Reaktion. Genervt stieß Nikolai die Luft durch die Zähne. Das reichte doch wohl!

„Ich bin ein Idiot, der sich nicht immer richtig verhält."

Vielleicht hörte er ihn nicht. Er müsste schon zufällig ebenfalls an dieser Wand sitzen, um ihn verstehen zu können. Hätte er nur einen Zettel. Suchend sah sich Nikolai um, aber da war nirgends mehr ein Stück Papier. Er war gerade dabei, die Hoffnung zu verlieren, als das Brett zu ruckeln begann. Nikolais Herz machte einen Sprung. Gott sei Dank! Kurz darauf steckte der Kosake den Kopf durch die Öffnung.

„Mehr kann man von dir wohl nicht erwarten, was?"

„Na hör mal", empörte sich Nikolai. „Sei froh, dass ich dir gegenüber überhaupt zu Eingeständnissen bereit bin."

Sofort biss er sich auf die Lippen. Das hätte er nicht sagen dürfen. Was, wenn Iwan es sich jetzt anders überlegte und ihn wieder allein ließ? Allein die Vorstellung löste einen Anflug von Panik in Nikolai aus.

„Also gut, ich lasse es zählen."

Um ein Haar hätte Nikolai erleichtert aufgeatmet.

„Das heißt, du hilfst mir?"

Iwan wiegte den Kopf hin und her, als müsse er überlegen. Nikolai verdrehte die Augen. „Du kannst mir nichts vorspielen. Wärst du dazu nicht bereit, hättest du nicht geantwortet."

Kapitulierend hob der Kosake seine von Hornhaut überzogenen Pranken. „Gut, du hast gewonnen. Was soll ich tun?"

„Ich muss wissen, was in dem Protokoll steht, was von Hohenstein bereits über mich weiß und was ich ihm folglich guten Gewissens verraten kann und was nicht."

„Bitte."

Nikolai hob eine Augenbraue. „Was?"

„Du sollst bitte sagen"

Er schnaubte verächtlich. Das konnte unmöglich sein Ernst sein.

„Wie alt bist du, Iwan?"

„Was ist? Wie schwer fällt es dir, mich zu bitten?"

An dem Grinsen in Iwans Gesicht erkannte Nikolai, dass es ihm ein diebisches Vergnügen bereitete, mit seinem Stolz als Adeliger zu spielen. Er unterdrückte die Wut, die in ihm aufstieg und beschloss, dass es den Kosaken vermutlich mehr ärgern würde, wenn er nicht auf das Spiel einging. Deshalb sagte er wie aus der Pistole geschossen und mit seinem schönsten falschen Lächeln versehen: „Bitte."

Ein überraschter Ausdruck legte sich über Iwans Züge. Nikolai grinste triumphierend. Das hatte er erreichen wollen. Der Kosake räusperte sich. „Gut und jetzt verrate mir, wie Otto das anstellen soll. Er ist ein einfacher Wachsoldat."

Nikolai zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen?"

„Das solltest du vielleicht."

„Du könntest dich ruhig ein wenig mehr bemühen."

Ungläubig zeigte Iwan mit dem Finger auf sich. „Ich? Du willst etwas von mir, nicht umgekehrt."

„Falsch, du willst auch etwas von mir. Müssen wir diese Diskussion wirklich erneut führen?"

„Schön, tun wir es dabei belassen."

„Verhörprotokolle werden normalerweise in der Schreibstube aufbewahrt, da kommt dein Otto auf jeden Fall herein, er braucht nicht einmal einen besonderen Grund. Lass ihn einen Antrag auf Urlaub stellen oder auf eine neue Uniformjacke oder dergleichen. Dann muss er nur noch einen Weg finden, alleine in der Stube zu sein und er kann die Protokolle durchsuchen. Kennt er den Sekretär? Wenn ja, kann er ihn mit Sicherheit irgendwie ablenken."

Iwan nickte zögerlich. „Ich will nur nicht, dass Otto in Gefahr gebracht wird, das ist alles."

„Warum liegt dir dieser Soldat eigentlich so am Herzen? Warum seid ihr überhaupt Freunde?"

Scheinbar wegwerfend winkte Iwan ab. „Ach, das Übliche. Ich hatte ihm das Leben gerettet und er denkt, dass er mir gegenüber eine Schuld begleichen muss."

Immer noch diese grauenvolle Grammatik. Nikolai konnte nicht anders, als ihn zu korrigieren. „Ich habe ihm das Leben gerettet."

„Was ist eigentlich falsch mit dir?"

„Wieso mit mir? Du bist doch derjenige, der zu dumm ist, einen anständigen Satz zu formulieren. Also, du hast ihm das Leben gerettet?"

Kurzzeitig schien es, als wollte Iwan zurückschießen. Nikolai konnte ihm regelrecht ansehen, wie er seinen Kopf durchforstete, um nach einer passenden Erwiderung zu suchen, aber ausnahmsweise beherrschte er sich und fuhr mit seiner Erzählung fort. „Vor einem Jahr hatte es im Lager einen kleinen Aufstand gegeben."

Nikolai schlug sich die Hand vor die Stirn. Er würde es nie lernen. Iwan ignorierte seine Reaktion. „Ein paar russische Gefangene waren auf ihre Wachmänner losgegangen. Einer von ihnen hatte versucht, Otto zu töten, woraufhin ich dem Schurken den Schädel zertrümmert hatte. Seitdem sind wir Freunde."

Das hätte Nikolai nicht von Iwan erwartet. Er hatte einen Russen erschlagen, um einen Deutschen zu retten?

„Du tust so erstaunt wirken, Bübchen. Warum? Ich hatte dir doch gesagt, dass die Deutschen nicht meine Feinde sind."

„Ja, das erwähntest du. Was ist nun? Hilfst du mir?"

„Meinetwegen."

„Schade, dass wir nichts zum Anstoßen haben."

„Worauf tust du denn anstoßen wollen?"

Nikolais Lippen verzogen sich zu einem diabolischen Grinsen. „Auf die Heimtückischen."

Prüfend kniff Iwan die Augen zusammen. „Dir tut das Spaß machen, oder?"

„Dir etwa nicht?"

Nun grinste auch Iwan.

Der schwarze SchwanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt