8.

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Am Tag darauf wurde er zum Verhör geführt. Es war derselbe Raum wie zuvor und er wurde auf denselben Stuhl gesetzt. Der Tisch war von der Wand weggerückt worden, sodass der Major dahinter Platz nehmen konnte. Kompaniefeldwebel Reiser positionierte sich diskret hinter seinem Vorgesetzten an einem weiteren Tisch, der neu in diesem Zimmer war. Neben ihm befand sich ein Mann in der Uniform eines Gefreiten, der Nikolai nicht bekannt war. Das Auffälligste an ihm waren sein strohblondes Haar und seine abstehenden Ohren, die einen unvorteilhaften Kontrast zu seinem schmalen Gesicht bildeten und ihm das Aussehen einer Maus verliehen.

Nikolai wagte es nicht, den Offizier aus den Augen zu lassen, der seit einer gefühlten Ewigkeit in irgendwelchen Unterlagen blätterte und ihn warten ließ. Absichtlich, wie er vermutete. Er fragte sich, ob der Mann bei Sinnen war. Wer tauchte nachts einfach so an jemandes Bett auf und starrte ihn an, ohne etwas zu sagen? Der Vorfall ließ Nikolai nicht mehr los.

Unbehaglich sah er sich um und entdeckte dabei eine schmale Tür in der Wand, die so unscheinbar war, dass sie man sie kaum wahrnahm. Das schien die Erklärung zu sein, wie der Major in den Raum gelangt war, ohne dass Nikolai es mitbekommen hätte. Nikolai schüttelte es. Diese Person war unheimlich.

Endlich löste der Major den Blick von seinen Akten und richtete seine Aufmerksamkeit auf Nikolai.

„Leutnant Orlow", setzte er an. „Ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir. Mein Name ist von Hohenstein und dies ..." Er wies auf den Blonden. „...ist der Gefreite Schwarzer. Er fungiert als unser Übersetzer. Vielleicht ermutigt Sie das, mit uns zu kooperieren."

Während er gesprochen hatte, hatte Nikolai genau auf von Hohensteins Mimik und seinen Ton geachtet. Er hatte nach Anzeichen von Spott, Sadismus oder Überheblichkeit gesucht – oder zumindest nach irgendetwas. Aber er wurde enttäuscht. Da war nichts. Der Mann verhielt sich so sachlich, distanziert und kühl, dass man absolut nichts aus ihm lesen konnte. Das war gar nicht gut. 

Die Angst, seine alte Vertraute, stieg erneut in ihm auf und nahm ihn in Besitz wie ein Parasit seinen Wirt. Irgendetwas an diesem Mann versetzte ihn in ein solch eiskaltes Entsetzen, das er sich nicht erklären konnte. Hätte er behauptet, er schleiche nachts durch die Straßen, um Menschen aus dem Hinterhalt zu ermorden, hätte Nikolai es ihm geglaubt. Er hatte etwas Kaltes, Berechnendes an sich und er war sicher, sollte er wirklich Morde begehen, dann waren das wohlüberlegte, perfekt kalkulierte Handlungen ohne jede Spur von Aggressivität oder Wahn. Ein sauberer Schnitt, mit dem die Kehle durchtrennt wurde, still, heimlich, leise und im Beisein aller Sinne... Oh Gott.

Nikolai versuchte, sich selbst zu beruhigen. Er durfte nicht zulassen, dass seine Fantasie derart mit ihm durchging. Wenn er das hier überstehen wollte, musste er einen kühlen Kopf bewahren.

„Nun, dann wollen wir mal, Leutnant. Sie wissen, was ich hören will. Wann und wo soll die Offensive beginnen?"

Sprechen funktionierte nicht mehr, das spürte er bereits. Es war, als befinde sich ein Knödel in seinem Mund, den er ausspucken wollte, während er sich zugleich an ihm festbiss – ein Ding der Unmöglichkeit. Schreiben konnte er allerdings noch, die Lähmungserscheinungen waren bisher nicht eingetreten. Sollte er? Er schielte auf das Papier und den Stift, die nur darauf warteten, von ihm benutzt zu werden. Nein.

Erwartungsvoll hob der Major die Augenbrauen. „Ich höre."

Nikolai blieb stumm. Von Hohenstein gab Schwarzer ein Zeichen.

„Übersetzen Sie."

Gehorsam gab der Gefreite die Worte auf Russisch wieder, doch das kümmerte Nikolai wenig. Er hatte den Major verstanden.

„Ich weiß nicht, ob ich Sie für stur oder für dumm halten soll, Leutnant. Sie könnten sich so leicht retten, Sie müssen nur ein paar meiner Fragen beantworten und dieser Spuk hier ist zu Ende, bevor er richtig angefangen hat."

Der schwarze SchwanWhere stories live. Discover now