T W E N T Y F I V E

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In den letzten zweiundsiebzig Stunden ist so ungefähr jedes der Gespräche mit meinem Vater in einem Streit geendet. Und genau deshalb habe ich mich entschieden, nicht mehr mit ihm zu reden, bevor er sich wieder eingekriegt hat. Ich war es einfach satt, jedes Mal über dieses Thema zu streiten. Ich wollte nicht immer wieder daran erinnert werden, dass ich sterbe. Nur versteht er das leider nicht. Er versteht dieses Risiko nicht, welches ich eingehe, wenn ich die OP mache. Das einzige Risiko was er kennt, ist zu verlieren, wenn das Wochenende schlecht läuft...

Ein mehr oder weniger dumpfer Schlag ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Ich sah neben mich und sah einen Stift auf dem Boden liegen. Alles war still, alle waren vertieft in die Mathearbeit, doch ich konnte mich einfach nicht konzentrieren... Ich hob den Stift auf und fing an die Aufgaben zu rechnen. Zumindest versuchte ich das, aber ich schaffte es einfach nicht länger als ein oder zwei Minuten mich auf eine Sache zu konzentrieren. Immer wieder tauchte entweder mein Vater mit der OP in meinen Gedanken auf oder Lewis, mit dem ich mich Samstag Abend gestritten habe.

Er tat mir immer noch leid und mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich ihm die Wahrheit sagen werde, dass mir der Arzt nur noch vier Monate gegeben hat, von denen nun schon über anderthalb rum sind. Und von der OP, und dass ich sie nicht machen werde. Er hat es einfach verdient zu wissen...

Nach zwei Stunden war die Zeit vorbei. Ich war nicht ganz fertig geworden, aber trotzdem relativ zufrieden mit meinem Ergebnis... Ich gab das doppelseitige Blatt vorne ab und ging dann. Draußen erwartete mich die frische Herbstluft. Man roch die Feuchtigkeit auf den Blättern und Gräsern, man sah den Regen in den grauen Wolken, und ich hatte dieses allgemeine Gefühl von herbstlicher Trübheit. Nicht nur in meinen Gedanken, sondern auch in der Wirklichkeit. Es brauchte keine zwei Minuten, da kroch mir die Kälte bereits unter den Pullover und ich fing an zu frieren.

Um so schnell wie möglich ins Warme zu kommen, lief ich los. Und auch wenn ich wirklich keine Lust hatte jetzt meinem Dad bei der Arbeit zu treffen, freute ich mich auf Lewis, der mir geschrieben hat, dass er auch bei Mercedes ist. Also steckte ich mir meine AirPods in die Ohren und lauschte der Musik, während ich über die Felder lief. Nach nicht all zu langer Zeit bekam ich den ersten Regentropfen ab, in diesem Moment wusste ich, dass ich sicher nass beim Büro ankommen werde. Es sind noch mindestens zwanzig Minuten, was nicht viel Hoffnung lässt, trocken zu bleiben. Aber warum wundert mich das überhaupt? Die Wolken sahen immerhin schon danach aus, als dass es gleich regnet, und das meiste Glück in meinem Leben, hat mich schon vor zwei Jahren verlassen...

„Was für ne scheiße!" Triefend erreichte ich das Mercedes Gebäude. Die komischen Blicke der Leute ignorierte ich, auch wenn es nicht einfach war, wenn man angeschaut wird als hätte man was verbrochen... „Hey Schatz- Oh" Lewis blickte an mir runter, ich ihm direkt in die Augen. „Sag nichts." Warnte ich ihn auch nur einen blöden Kommentar abzugeben. Er öffnete seinen Mund, als wolle er etwas erwidern, schloss ihn jedoch wieder, als er meinen bitterbösen Blick sah. „Uhm okay, d-du siehst gut aus..." Er küsste mich kurz und erklärte dann, dass er noch einen Pulli in seiner Tasche hat.

„Ist nicht mehr ganz frisch, aber immerhin etwas." Er zog etwas rotes aus seiner Tasche. Es brauchte kurz, bis ich den Pulli wieder erkannte. Es war der, den Lewis getragen hat, als wir auf dieser Wiese waren. Da hat er sich entschuldigt, und ich hätte wirklich nicht gedacht, dass dieser Pulli Gefühle in mir auslöst. Auf einmal spürte ich den Schmerz den ich dort gespürt hatte. Ich fühlte die Einsamkeit, aber nur kurz, bis Lewis zu reden begann. „Liv? Soll ich dir beim anziehen helfen oder was?" Mein Gegenüber schmunzelte, woraufhin ich den Hoodie entgegennahm. „Ich weiß ganz genau, wie gerne du das würdest-" Ich zog mir den nassen Stoff über den Kopf und warf ihn anschließend auf den Boden, mir fiel erst jetzt auf, wie schwer er durch das ganze Wasser wurde. „Aber ich schaff das schon alleine..." Ich setzte ein unschuldiges Grinsen auf, und ehe ich mich versah, hatte er mich gepackt und auf die Couch geworfen.

„Wenn man es genau nimmt, helfe ich lieber beim Ausziehen als beim anziehen..." Ich rollte mit den Augen, dieser Spruch war einfach typisch Lewis... „Als ob das ein Geheimnis wäre, Lewis..." Wir mussten beide lachen. „Hab ich auch nie gesagt." Er beugte sich zu mir runter und dann küsste er mich. Innig, vertraut. Es fühlte sich so unglaublich gut an, viel zu gut, dafür, dass es eigentlich nur ein einfacher Kuss war...

Seine Hand wanderte von meiner Hüfte zu meiner Taille, von wo aus sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper ausbreitete. Ich erbebte in mir selber, in dem Moment, wo er seine eiskalten Finger über mein Schlüsselbein fahren ließ. Ein Seufzen entglitt ihm als ich leicht in seine Unterlippe biss. Ich liebte es einfach, wenn er mir so hingegeben war...

Für einen Moment genossen wir unser Zweisamkeit, bis Lewis' Handy zum dritten mal in seiner Hosentasche brummte und er den Kuss unterbrach, um nachzusehen wer uns störte. Stöhnend steckte er es zurück. „Ich glaub, ich sollte wieder zurück. Bono wartet auf mich..." Erklärte er, ehe er mich nochmal küsste und dann verschwand. Dann lag ich da, alleine, und starrte an die Decke.

Die Situation gab mir Flashbacks von dem Tag in Silverstone, wo sich mein ganzes Leben, welches bis Dato ziemlich perfekt war, schlagartig ins schlechte wendete. Als Lewis damals aus dem Raum gegangen war, ist auch ein Teil von mir gegangen. Nur wusste ich das da noch nicht. Ich spürte etwas, roch einen Verdacht wie er in der Luft lag. Aber ich hatte, auch wenn ich es mir die ganze zeit eingeredet habe, nie damit gerechnet, dass meine schlimmste Befürchtung wirklich wahr wird.

Die Liebe zu Lewis hat mich blind gemacht, aber ich wollte das hinter mir lassen. Ich wollte endlich nach vorne Blicken und nicht mehr daran zurückdenken müssen, was passiert ist. Denn das war egal, jetzt zählte nur noch heute. Morgen und gestern war egal, das leben ist viel zu kurz um sich auf morgen und gestern zu konzentrieren...

Toxic Love - the beginning of the end (Band 2) | Lewis Hamilton FFWhere stories live. Discover now