T H I R T Y S I X

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Nach tausenden Untersuchungen, einem MRT, Fragen über meinen Zustand und der allerschlimmsten Blutabnahme die ich je hatte, wartete ich wieder. Natürlich, wer hätte das gedacht?

Leichter Schwindel tänzelte hinter meiner Stirn und ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen, was sicher davon kam, dass ich Schwierigkeiten habe Blut zu sehen. Aber vielleicht war es auch diese Ungewissheit. Ich wollte endlich wissen, ob alles okay ist, konnte das denn so schwer sein? Offensichtlich schon. Jedenfalls wartete ich jetzt hier, und das, ohne dass ein Ende in Sicht wäre.
Zehn Minuten.
Eine halbe Stunde.
Fünfundvierzig Minuten. Nichts passierte

Und dann ging die Tür zum Wartebereich auf. „Miss Wolff?!" Es war die selbe Arzthelferin wie eben. Ich nickte und folgte ihr in das Zimmer des Arztes. Der ältere Herr, ebenfalls der selbe der mich eben untersucht hat, saß an seinem Tisch. „Nehmen sie doch bitte Platz." Er deutete auf den Stuhl gegenüber von ihm, wo ich mich dann hinsetzte. Die Schwester war indessen schon wieder verschwunden.

„Also Miss Wolff..." Fing er an und schlug meine Krankenmappe auf. „Ich möchte mit ihnen ein paar Dinge besprechen. Als erstes vielleicht die allgemeine Heilung der Operation, die wirklich sehr gut gelaufen ist. Die Ärzte konnten die Gefäße gut richten, also da ist alles prima..." Er machte eine kurze Pause, mein Gefühl sagte mir schon, dass das nichts Gutes heißen kann...

„Aber...?" Krächzte ich, meine Kehle fühlte sich so unglaublich trocken an. Dann seufzte er. „Aber wir haben etwas anderes gefunden..." Ich schluckte schwer. Die Frage was sie gefunden haben blieb mir im Hals stecken. Ich war mir nicht mal sicher ob ich es überhaupt wissen wollte. Egal, er redete schon weiter. „Ich habe mir die Bilder vom MRT angeschaut und da habe ich etwas auffälliges gesehen, was so eigentlich nicht sein soll. Auf Ihren Herzkammern befinden sich kleine Blutbläschen, das hat aber nichts mit der Operation zu tun." Er stoppte wieder. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung was das bedeutete.

Blutbläschen, Herzkammern, was sollte ich jetzt mit dieser Information anfangen? „Und was bedeutet das für mich?" Fragte ich den Arzt, der daraufhin wieder seufzte. „Ich würde Ihnen gerne schönere Nachrichten übermitteln, aber das ist in diesem Fall leider nicht die Realität. Die Realität ist, dass sich damit das Risiko auf einen Herzinfarkt für Sie, extrem erhöht und wir leider nicht wirklich viel dagegen machen können..."

Ich brachte kein Wort mehr heraus. Kein einziges, wenn ich meinen Mund öffnete um zu sprechen kam nichts dabei raus. Ich spürte wie die perfekte Welt, in der ich bis eben noch gelebt habe, in sich selber zusammenstürzte. Alle Hoffnung, die ich bis gerade eben noch hatte, war weg. Und ich war wieder am Anfang. Wir können nicht viel für Sie tun. Wie ich diesen Satz hasste, einfach weil ich ihn viel zu oft gehört habe. Und jedes Mal hatte ich danach das Gefühl, mir würde der Boden unter den Füßen weg gerissen werden. Na ja gut, das tat es ja auch. Das tut die bittere Wahrheit doch eigentlich immer, oder nicht?

„Hören Sie, Miss Wolff. Es gibt die Möglichkeit eine Operation zu machen. Ich setze sie direkt auf die Liste, wenn das für sie okay ist...?" Der Arzt sah mich hoffnungsvoll an, aber ich konnte sein Lächeln in keinster Weise erwidern. Operation, Liste, mein Magen drehte sich bei diesen Worten gleich drei mal rum. „Wir hätten einen Termin in drei Wochen, zur Vorbesprechung und allen weiteren Dingen. Ich trage sie da ein, in der Zwischenzeit setzte ich mich mit ihrem Vater in Verbindung, der die ganzen Unterlagen unterschreiben muss, ja?"

Ich konnte nicht mehr als stumm zu Nicken, denn ich wusste, wenn ich rede, muss ich kotzen. Mir war so schlecht, so unendlich schlecht, dass ich mich am liebsten gleich hier übergeben hätte. Ich wollte diese ganze scheiße nicht nochmal durchmachen, ich wollte nicht nochmal auf irgendeiner Liste stehen, die darüber bestimmt ob ich sterbe oder nicht. Gott - ich wollte doch nur gesund sein?!

„In der Zwischenzeit kann ich Ihnen nur mitgeben, dass sie auf sich aufpassen. Also kein Sport, keine großen Anstrengungen und natürlich keinen Alkohol oder sonstige Drogen..." Ach fick dich doch, ich habe das alles schon mal gehört, und zu was hat das geführt? Genau, zu gar nichts!

„Okay." Sagte ich schließlich. „Danke vielmals..." Danke für gar nichts wohl eher... Ich kam mir selber blöd vor, ich meine, dieser Arzt kann ja auch nichts dafür. Niemand kann etwas dafür. Aber ich war so unglaublich sauer, verletzt und wütend, weil mein Leben einfach so ist wie es ist. Immer wenn alles perfekt ist, wenn das mit Lewis und mir klappt, ich keine Probleme mit meinem Vater habe und auch sonst alles gut zu sein scheint, dann kracht der Boden unter mir und alles stürzt zusammen. Und ich verstand nicht warum. Was habe ich getan, damit es mein scheiss Leben ist, welches so ist? Womit habe ich das verdient?!

„Ich danke Ihnen, Miss Wolff. Und glauben sie mir, alles wird gut." Zur Verabschiedung schüttelte er meine Hand und lächelte.

Sobald ich aus dem Raum raus war überkamen mich die ganzen Emotionen auf einmal. Ich fühlte etwas, wofür ich keine Worte hatte, was so sehr weh tat, dass ich lieber sterben würde als das zu fühlen. Erst unter der Zunge, dann hinten im Rachen und am Ende auf der linken Seite, direkt unter den Rippen. Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten, sie rannten über meine glühenden Wangen, und brannten, als die Kälte von draußen auf meine Haut traf.

Der matschige Schnee knirschte unter meinen Schuhsohlen und ich fragte mich, was das hier alles für einen Sinn hatte? Der Schmerz, die zerschmetterte Hoffnung, eigentlich dieses ganze beschissene Leben. Was machte es für einen Sinn, wenn dir gesagt wird, dass du stirbst? Wie funktioniert das überhaupt? Warum ist es so einfach, jemandem zu sagen, dass er sterben wird? Das konnte es doch nicht sein, oder? Ich bin in diese scheiss Arztpraxis gelaufen, mit Hoffnung darauf, dass jetzt alles wieder gut wird. Und das Gegenteil ist passiert. Nichts ist gut. Überhaupt nichts. Alles ist schlimm, schlimmer als davor, und das nur, weil ich dieses Mal wirklich dachte, dass es klappt. Ich hatte wirklich die Hoffnung, dass es endlich gut wird, deshalb tut es so weh.

Ich hätte von Anfang an nicht daran glauben dürfen, ich hätte wissen müssen, dass es lächerlich ist, aber das hab ich nicht. Ich bin selber schuld, an dem Schmerz, an dieser ganzen scheiße. Ich hätte es besser wissen müssen.

Der eiskalte Wind peitschte mit ins Gesicht, ich atmete ihn ein und spürte... nichts. Müsste da nicht eigentlich irgendwas sein? Schmerz, ein brennen, irgendwas? Da war nichts. Mit einem Mal, fühlte sich mein Körper taub an, irgendwie tot. Das einzige was ich noch irgendwie ausmachen konnte, war, dass es gebrochen war, mein Herz. Gott - wie ich dieses Gefühl hasste.

Aber ich durfte mir davon jetzt nicht auch alles andere kaputt machen lassen. Ich durfte nicht die Nerven verlieren, nichts jetzt...

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Hey meine Lieben :) na was sagt ihr zu dem (eher traurigen) Kapitel? Lass mich gerne in den Kommis wissen, was ihr so darüber denkt...

Bis dahin, stay safe and positive!!

<3

Toxic Love - the beginning of the end (Band 2) | Lewis Hamilton FFWhere stories live. Discover now