89. Kapitel

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Das Leben ist wie eine Busfahrt. Von einer Station bis zur nächsten kann sich vieles mit einem Mal verändern. An jeder Station begegnet man Erlebnissen, die einen bereichern oder einen etwas lehren wollen. Ich habe gemerkt, dass jede Erfahrung einen Sinn mit sich gebracht hat. Auch wenn ich mich anfangs bei meiner nicht so schönen Begegnung mit Ömer gefragt habe, wieso genau mir das alles widerfahren musste, sehe ich jetzt die schönen Früchte aus diesen Erfahrungen.

Mir ist bewusst geworden, dass ich vor Ömer total einsam war. Ich hatte keinen um mich herum, außer paar Arbeitskollegen. Die habe ich jedoch nur auf der Arbeit gesehen und sonst war ich überwiegend alleine unterwegs. Meine liebsten waren entweder verstorben oder sehr weit weg. Ich hatte ein monotones und unspektakuläres leben. Es hat mich erkalten lassen. Ich habe zwar ein sehr großes Ziel erreicht. Bin eine Ärztin aus Leidenschaft geworden. Doch mir hat trotzdem eine Sache gefehlt. Eine warme Familie. Meine einzige Familie war früher Sofia. Ich wusste jedoch damals noch nicht, dass sie das sie meine Familie war. Meine kleine Patientin war die einzige, die mir ein Stück Lebensqualität gab. Ich habe mich unbewusst an ein kleines fremdes Mädchen geklammert. Das klingt, wenn ich jetzt so darüber nachdenke total traurig und gleichzeitig absurd. Ich war scheinbar total bedürftig nach Wärme.

Dann kam Ömer in mein langweiliges Leben. Wir hatten zuerst Anfangsschwierigkeiten. Und zwar sehr schwere. Er hat mit einem Mal mein komplettes Leben auf den Kopf gestellt.

Ich konnte meinem eintönigem Alltag nicht mehr nachgehen. Ich war zwar emotional einsam, physisch jedoch hatte ich ständig jemandem um mich. Auch wenn es anfangs nur den Zweck hatte, dass ich nicht fliehe. Jedoch war sein Haus immer voller Menschen. Öykü war sogar die erste Person in diesem Haus, die ich in mein Herz schloß. Gleichzeitig habe ich auch außerhalb vom Haus herzensreine Menschen wie Meryem Teyze und Ziya amca kennenlernen dürfen. Mein Umfeld füllte sich mit einem Mal mit mehreren Menschen, die mir eine unfassbare Geborgenheit schenkten. Doch am meisten bekam ich sie im laufe der Zeit von ihm zu spüren. Meinem Ehemann.

Ömer und ich sind einen schweren Kampf eingegangen. Während er sich an mich und meiner Familie rächen wollte, wollte ich unsere Unschuld beweisen und meine Familie schützen. Es hat mich eine immense Kraft gekostet. Vor allem als ich gemerkt habe, dass sich langsam Gefühle bei mir anbahnen. Denn so stand ich zwischen meinen Liebsten. Ich konnte und wollte mich nicht für eine Seite entscheiden. Ich wollte beide Seiten vereinen. Für Frieden sorgen.

Ich habe zunehmend festgestellt, dass Ömer nicht der ist, für den er sich ausgegeben hat. Sein weicher Kern war umgeben mit harten Schicksalsschlägen und einem unglaublichen Schmerz. Zum Selbstschutz musste er sich eine harte Schale formen. Diese harte Schale hat ihn zu einem unberechenbaren und gefürchteten Mann gemacht. Er sah nur schwarz. War gefangen in einem dunklen Loch mit unzähligen Lügen. Er glich einem Mann mit einer verlorenen Seele.

Doch dieser Mann ließ seine Gefühle immer mehr zu. Ein Licht drang dadurch in seine dunkle, düstere Welt. Der Kampf zwischen uns endete immer mehr. Grundsätzlich endet ein Kampf mit einem Verlierer und einem Gewinner. Doch unser Kampf endete mit einem unvorstellbaren schönen Ende. Denn am Ende ging keiner von uns beiden als Verlierer aus diesem Kampf. Ganz im Gegenteil. Wir beide waren Sieger. Unsere ursprünglichen Ziele gingen zunichte. Wir kämpften nicht mehr gegeneinander sondern gemeinsam gegen andere und das für uns. Unsere Gegner waren alle, die gegen unsere Liebe waren.

Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir alle Hindernisse beseitigt haben. Keiner schafft es mehr sich zwischen uns zu stellen. Wir nehmen uns gegenseitig unsere Schmerzen. Ich muss niemanden mehr vor Ömer schützen. Er ist derjenige, der mich beschützt und zwar vor Menschen, die unser Schlechtes wollen. Gott sei' dank gibt es jedoch keinen mehr, der uns schaden zufügen will. Zumindest weiß ich davon nichts. Hoffe es aber zutiefst.

ÖMRAWhere stories live. Discover now