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L e v i

Ich bringe Adam um. Wenn ich auch nur noch ein einziges Mal sehe, dass er Amaya zu nah kommt, dann bringe ich ihn um.

Obwohl - ich werde ihn so oder so umbringen. Sobald ich das Geständnis von diesem Wichser habe, schicke ich ihn zur Hölle. Und mich gleich hinterher.

Amaya wird mir niemals verzeihen, was ich ihr angetan habe. Ich mir auch nicht, um ehrlich zu sein. Sie war meine einzige und beste Freundin, und sie denkt, ich hätte sie für Adam fallen lassen. Ich meine, irgendwie ist es ja auch genau so, aber ich musste es tun. Er hätte mich sonst nie als Mitglied seiner Gruppe angesehen und akzeptiert.

Hätte ich ihr einfach von Anfang an erzählt, wieso ich das alles mache, wäre es nicht so weit gekommen. Gott, sie hätte mir sogar noch dabei geholfen. So ist Storm. Sie hilft anderen, obwohl sie diejenige ist, die diese Hilfe am meisten gebrauchen könnte. Ich war diese Hilfe für sie, und ich hab ihr das alles mit einem Mal weggerissen.

Jetzt ist es zu spät. Es gibt nichts, was ich tun könnte, um die Sache mit ihr wieder geradezubiegen. Ich werde für immer das Arschloch sein, das sie im Stich gelassen hat.
Das verdiene ich.

Aber ich werde sie trotzdem mit allem, was ich bin beschützen. Das werde ich für immer tun.

Genauso wie Victoria. Für sie mache ich das alles hier. Damit sie endlich wieder nach Hause kommen und bei mir leben kann. Damit sie ein ganz normaler Teenager sein kann. Damit die, die es verdienen, endlich in der Hölle schmoren.

Amaya und Gerechtigkeit für Vicky waren alles, was ich jemals wollte, aber in meiner Welt kann beides wohl nicht zusammen existieren. Egal, wofür ich mich entschieden hätte, ich hätte für den Rest meines Lebens mit den Konsequenzen leben müssen. Und das tue ich bereits.

Kurz bevor alles passiert ist, hatte ich mir fest vorgenommen, Amaya meine Gefühle zu gestehen. Ihr zu sagen, dass das zwischen uns für mich so viel mehr ist, als nur Freundschaft. Ihr auch zu sagen, dass sie für immer meine beste Freundin bleiben wird, egal, wie sie sich entscheidet. Sie zu verlieren war mein größter Alptraum, der ein paar Wochen später zur Realität geworden ist. Ich musste sie verlieren, um meine Schwester nicht zu verlieren.

Das heißt bloß nicht, dass ich auch meine Gefühle für sie einfach verloren habe. Wenn überhaupt, dann sind sie stärker, als jemals zuvor.

Ich habe es schon immer geliebt, wie sie meinen Namen sagt; als wäre er die neue Bedeutung hinter dem Wort Liebe - die Erfüllung purer Admiration.

Das habe ich mir selbst genommen. Seit dem alles passiert ist, nennt sie mich nur noch Blackwell. Sie schafft es nicht einmal, meinen vollen Namen zu sagen. Und ich liebe sie dafür. Sie weiß ganz genau, warum ich ihn verabscheue. Warum ich jeden verabscheue, der mich so nennt. Meine Familie. Meine neuen Freunde. Scheiße, ich kann nicht mal daran denken, ohne lachen zu müssen.

Es fühlt sich an, als würde ich Amaya's Freundschaft betrügen.

Es waren immer wir beide. Levi & Storm. Keiner hat uns besser verstanden, als wir es getan haben. Wir waren die Zielscheibe der ganzen Schule, aber zusammen haben wir das irgendwie ausgehalten. Die meisten Pfeile sind an uns abgesprungen, andere haben wir füreinander abgefangen.

Jetzt sind wir Valerian und Amaya. Sie denkt, ich würde keine Pfeile mehr für sie abfangen. In ihren Augen bin ich derjenige, der sie losschießt.
Und ich habe ihr auch nie einen Grund gegeben, etwas anderes zu glauben.

Ich schiebe meinen Adam Carter-Mordplan in das Hinterste meiner Gedanken und stelle den Motor meines Motorrads ab. Amaya hasst das Teil. Das hab ich in ihren Augen gesehen, als ich zum ersten Mal damit zur Schule gefahren bin. Sie ist keine Person, die andere verurteilt, weil sie selbst weiß, wie sich das anfühlt, aber ich schwöre bei Gott, hätte sie mich mit ihren Blicken erdolchen können, dann wäre ich jetzt nicht mehr hier. Bei diesem Gedanken muss ich unwillkürlich lächeln. Es war schon immer mein Traum, einen Motorradführerschein zu haben. Ich habe mich nur immer zurückgehalten, weil Amaya diese Gedanke solch eine Angst eingejagt hat.

Ich kann ihr nicht einmal verübeln, dass sie das Ding einfach umgeschubst hat. Stattdessen habe ich mich nur noch mehr in sie verliebt. Sie ist eben Storm. Meine Storm. Meine jähzornige, entschlossene, chaotische Storm.

Der Hauch der guten Laune verfliegt, als ich die Haustür öffne und meine Mutter mit verschränkten Armen in der Küche stehen sehe.

"Ach, sieh mal einer an, wer endlich Zuhause ist!", regt sie sich auf und wirft ihre Arme in die Luft. Ich lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen.

"Ich war in der Schule, Mom. Das weißt du", ist alles, was ich sage, bevor ich mich auf den Weg nach oben mache.

Ich habe keine Ahnung, welche Streiterei mit meinem Vater sie wieder dazu gebracht hat, alles an mir abzulassen, doch heute stehe ich nicht dafür gerade. Ich bin schon seit fast achtzehn Jahren der, der alles abkriegt und es dann einfach so wieder vergessen soll, sobald sie sich vertragen haben. Wenigstens für einen einzigen Tag brauche ich Ruhe. Für diesen Tag.

Ich kann nicht aufhören, an Amaya zu denken. Das ist eigentlich nichts neues mehr. Ich denke ununterbrochen an sie, aber irgendetwas war heute anders. Sie war noch nie diejenige, die sich wirklich gegen andere gewehrt hat. Sie hat schon immer viel lieber eingesteckt, als ausgeteilt - außer mit mir. Doch wie sie da vor Adam stand, so zerbrechlich, ihr Blick auf den Boden gerichtet...Es sah aus, als hätte sie sich darauf vorbereitet hinzunehmen, was auch immer er vorhatte.

Und das macht mir Angst.

Es macht mir Angst, dass sie sich nicht als Person sieht, die es wert ist, zu kämpfen. Sie darf sich nicht aufgeben. Sie stand in der Vergangenheit schon so oft viel zu kurz davor, es zu tun. Ich war derjenige, der ihre Wunden verbunden hat. Ich war derjenige, der ihr ganzes Zimmer durchsucht hat, bis ich jede einzelne, verdammte Klinge gefunden habe, wenn sie mal wieder übertrieben hat. Ich war derjenige, der ihre Narben geküsst hat, wenn sie sich entstellt gefühlt hat. Und sie war diejenige, die all diese Dinge für mich getan hat.

Sie darf sich jetzt einfach nicht aufgeben.

Wir haben einander versprochen, zusammen zu kämpfen. Vor fünf Jahren haben wir einen idiotischen Pakt geschlossen; gehst du, gehe ich. Es ist absurd und so, so falsch, aber es hat funktioniert. Ich bin nur noch hier, damit sie nicht gehen muss. Die Welt wäre nichts ohne Amaya Ciaran. Sie darf den Pakt nicht brechen. Sie darf einfach nicht.

Ich hätte ihr Hilfe holen sollen. Ich hätte etwas tun sollen. Einfach irgendetwas. Ich wollte nur nicht, dass sie das gleiche auch bei mir versucht. Ich brauche keine Hilfe. Ich will sie nicht. Ich verdiene sie nicht. Meine Eltern würden mir ins Gesicht lachen, wenn sie davon erfahren würde.

Ich schaffe das alles alleine. Ich verarbeite Dinge im Stillen. Ich verarbeite sie mit mir selbst, an mir selbst. Das ist mein Leben. Damit habe ich mich abgefunden. Aber Amaya muss das nicht. Die ganze Welt könnte ihr zu Füßen liegen.

Ich nehme mein Handy aus meiner Hosentasche und öffne Amaya's Kontakt. Sie ist immer noch die einzige Person in meiner Favoritenliste. Sie ist immer noch unter Storm, mit drei m's und sieben Herzen eingespeichert, so wie sie es damals selbst gemacht hat. Ihre Glückszahlen, meinte sie. Sie wollte mir nie erzählen, warum genau diese Zahlen so viel Bedeutung für sie haben.

Mein zittriger Daumen schwebt zum Telefonsymbol. Ich sollte sie anrufen und sie an unseren Pakt erinnern, aber woher weißt ich, dass er ihr überhaupt noch etwas bedeutet?

Wir hätten es niemals so weit kommen lassen dürfen. Wir hätten einander aufhalten sollen. Wir waren bloß so müde. Wir waren so jung und so müde, und wir hatten zum ersten Mal jemanden gefunden, der uns wirklich verstanden hat.

Ich werfe mein Handy einfach vor mir auf den Boden und fahre mir verzweifelt durch meine Haare. Egal, was ich tue, es wird falsch sein. So oder so werde ich etwas tun, das Konsequenzen mit sich tragen wird, die nie wieder Rückgängig gemacht werden können. Nichts, das ich tun werde, wird jemals richtig sein.

Ich öffne meine Kommode und greife nach dem falschen Buch, das Amaya mir zu meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt hat. Es wird im Inneren in der Mitte durch ein Loch gezeichnet und durch einen Schlüssel sicher gehalten, wie eine Art Safe. Einer der Schlüssel hängt an meinem Schlüsselbund, den anderen hat Amaya. Sie hat ihn behalten, weil sie sich sicher sein wollte eingreifen zu können, wenn alles ausartet. Genauso wie ich mit der falschen, leeren Parfümflasche, die ich ihr vor zwei Jahren geschenkt habe. Wir wussten bloß nicht, dass die Situation schon längst ausgeartet war.

Und nur noch schlimmer werden würde.

StormWhere stories live. Discover now