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L e v i

Es hat fast dreißig Minuten gedauert, bis Amaya's Anruf gekommen ist.
Weniger als die Hälfte, bis ich endlich wieder bei ihr war.

Ich bin die ganze Zeit ziellos durch die Gegend gefahren. Nach Hause konnte ich nicht. Zu groß war die Gefahr, dass ich nicht wieder rausgekommen wäre.

Amaya hat bereits am Hintereingang auf mich gewartet, ein verängstigter Ausdruck auf ihrem Gesicht. Er ist die ganze Zeit über nicht verschwunden.

Ich habe ihr versprochen, mich morgen noch vor dem Unterrichtsbeginn in den Kunstraum zu schleichen und das Video vom Laptop von Mr. Davis zu löschen, worauf sie nur abwesend gelächelt und genickt hat. Ich habe ihr versprochen, zu tun, was auch immer nötig ist, und das Einzige, was sie darauf gesagt hat, war ein leises okay. Ob es an mangelndem Vertrauen in mich oder unsere Freundschaft liegt, keine Ahnung. So verständlich das auch wäre, weiß ich nicht, was mehr tun würde. Irgendwie muss ich es trotzdem herausfinden.

"Amaya?", fange ich also vorsichtig an. Wir sitzen im Schneidersitz auf ihrem Bett, direkt gegenüber von einander. Sie hat ihren Blick auf einen Punkt hinter mir gerichtet, ich meinen hingegen direkt in ihre unruhigen Augen.

Sie reagiert nicht.

"Amaya", wiederhole ich. Nichts. Als ich meine Hand behutsam auf ihre lege zuckt sie leicht zusammen und entzieht sie mir.

Etwas stimmt nicht. Sie ist nicht nur besorgt. Sie ist nicht nur beunruhigt. Da ist noch etwas anderes, was sie nicht aussprechen möchte. Etwas so viel Schlimmeres.

"Sieh mich an, Storm", verlange ich sanft. Zu meinem Glück - oder vielleicht auch Unglück - gehorcht sie mir sofort und beantwortet die Frage, die ich nicht einmal stellen konnte.

"Er will mehr", flüstert sie erschrocken vor sich hin, als würde sie jetzt erst wirklich realisieren, was ihre Worte zu bedeuten haben. Ich hingegen brauche nicht einmal eine einzige Sekunde dafür, als hätte irgendein Teil von mir nur darauf gewartet.

"Das Video zu verschicken war nur der Anfang. Er will so viel mehr von...mir, Levi."

Die Hälfte meines Gehirns schreit gerade danach, zu Adam zu fahren und sicherzugehen, dass er nie wieder auch nur in Amaya's Richtung sehen kann. Die andere Hälfte, die zu meiner Überzeugung mit meinen Herzen verbunden ist, sieht einfach nur meine beste Freundin vor mir sitzen, so völlig in sich zusammengekauert und von Reue gezeichnet, die sie niemals beim Namen nennen würde. Amaya hatte schon immer das Gefühl, sie müsste anderen einfach geben, was sie von ihr wollten. Sie hatte schon immer das Gefühl, sie wäre nichts wert, weil sie sich selbst nichts wert ist. Weil es ihr egal ist, was mit ihr passiert, so lange andere glücklich sind.
So lange ich glücklich bin. Wegen mir hat sie das alles erst getan.

"Das wird er nicht kriegen", verspreche ich ihr, bevor sich Zweifel in mir breit machen können. Ich will ihnen jetzt kein Platz bieten. Alles in mir existiert gerade nur für Amaya.

"Wie kannst du dir dabei so sicher sein?", fragt sie verzweifelt und sieht wieder von mir weg.

Ich hebe meinen Arm an und zögere etwas. Ich will sie nicht verschrecken, aber ich weiß, was ihr früher in so einer Situation geholfen hätte. Ich muss wissen, ob es noch immer so ist.

Meine Hand findet ihren Weg bis zu ihrer Wange ganz von allein. Zuerst lasse ich meine Fingerspitzen auf ihrer weichen Haut ruhen, was sie dazu bringt, ihre Luft anzuhalten. Genauso wie mich. Für einen kurzen Moment halte ich inne, warte eine Reaktion von ihr ab, doch als diese nicht kommt, lasse ich meine Finger etwas weiter auf ihre Wange gleiten. Ihre Augen finden meine, bevor sie ganz sachte zur Hälfte zuflackern. Ihre Wangen nehmen eine leicht rosige Farbe an, füllen sich wahrscheinlich mit Hitze, die durch meine Finger direkt in mein Herz schießt.

StormWhere stories live. Discover now