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L e v i

Es ist irgendwie seltsam, wieder hier zu sein.

Ich sehe mich um, und jede Ecke dieses Hauses schreit unsere Namen.

Die Küche, in die wir uns mitten in der Nacht geschlichen haben, weil Amaya plötzlich Lust hatte, etwas zu backen. Diese Nächte sind meistens mit einer Mehlschlacht, einem verbrannten Kuchen oder steinharten Keksen und Amaya und mir auf dem Boden geendet, weil wir uns vor Lachen nicht mehr einbekommen haben. Um ehrlich zu sein wussten wir nie wirklich, wieso wir überhaupt lachen mussten. Wir haben uns angesehen und es waren einfach...sie und ich. Wir. Während der Rest der Welt geschlafen hat, haben wir zusammen gelebt.

Miteinander war es so viel einfacher.

Genauso, wie es das durch unzählige Filmabende im Wohnzimmer war.
Und im Esszimmer, wenn wir mal wieder so viel gegessen hatten, dass wir dachten, nie wieder laufen zu können.
Selbst der Flur trägt gute Erinnerungen. Wenn ich ihn jetzt hinter Amaya entlang laufe, denke ich an all die Momente, in denen ich ihr durch das ganze Haus hinterher gerannt bin. Der Flur war mein Siegespunkt. Amaya hat es nie geschafft, schnell genug um die Ecke an der Treppe zu rennen, also habe ich meine Arme um ihre Taille geschlungen und sie so lange an meine Brust gedrückt gehalten, bis sie mir gegeben hat, was ich wollte. Meine Gründe waren nie wirklich gerechtfertigt. Es waren meistens Hausaufgaben, die ich selbst schon erledigt hatte. Manchmal habe ich sie auch - völlig unberechtigt - beschuldigt, mir in der Schule einen Stift geklaut oder mein Buch eingepackt zu haben.

Alles davon war gelogen. Ich habe einfach nur nach einem Grund gesucht, etwas länger zu bleiben. Sie etwas länger zu halten.

Auch, wenn unsere Eltern unsere Freundschaft zuerst halbwegs akzeptiert oder sich nur einfach nicht genug dafür interessiert haben, mussten unsere nächtlichen Übernachtungen irgendwann ein Ende finden. Mit jedem Jahr wurden sie seltener. Hauptsächlich, weil mein Vater Angst hatte, sein Nichtsnutz von Sohn würde durch die Gegend laufen und Mädchen schwängern. Amaya's Eltern haben es zwar nie gesagt, aber ich bin mir fast schon sicher, sie dachten genau das gleiche.

Dabei ging es mir mit Amaya nie nur um so etwas. Ich habe schon immer so viel mehr in ihr gesehen. Es war ihr Herz, das mich so gefesselt hat. Das tut es noch immer.

Sie ist gnadenlos schön, keine Frage. Es ist fast schon zum Verrücktwerden. Aber da ist dieses faszinierende, intelligente Mädchen mit dem reinsten Herzen, das ich jemals gesehen habe und diesen strahlenden, großen Augen und einem Lächeln, welches ein ganzes Universum erleuchten und die Sterne töricht aussehen lassen könnte.

Wie könnte ich sie auf etwas reduzieren, von dem keiner von uns die Sicherheit hat, es wahren zu können?

Wir könnten morgen einen Unfall haben, bei dem wir unsere Beine verlieren. Unsere Arme. Uns könnte etwas schreckliches zustoßen, und alles, was wir hätten, wäre das, was wir im Inneren tragen.

Für mich war das Aussehen einer Person schon immer das uninteressanteste an ihr. Es gibt viele schöne Menschen, aber es gibt keine Seele, die zwei Mal existiert. Jede Persönlichkeit ist einzigartig und hat so viele Facetten, über die ich lieber etwas lernen würde, als darüber, wie viel oder wenig eine Person wiegt. Wie rein ihre Haut ist oder wie lang oder kurz ihre Haare sind. Wie gerade ihre Zähne sind oder wie groß oder klein ihre Nase ist.

Die schönsten Menschen sind für mich die mit warmen Händen, einem lauten Lachen und einem guten Herzen.

Amaya.

"Setz dich ruhig schon mal. Ich suche schnell etwas raus", sagt sie und zeigt auf ihr ungemachtes Bett. Ich muss unwillkürlich lächeln.

Sie war noch nie wirklich ein großer Fan von gemachten Betten, weil sie immer meinte, man würde sich abends ja sowieso wieder reinlegen. Ich bin zwar das komplette Gegenteil, aber ich verstehe ihre Logik. Dieses Chaos gehört einfach zu ihr. Das ist es, was ich so mag.

StormWo Geschichten leben. Entdecke jetzt