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A m a y a

"Es ist ihm wirklich aufgefallen?", fragt Levi, der Ausdruck auf seinem Gesicht irgendetwas zwischen purer Erschütterung und kindlicher Betroffenheit.

Ich nicke und lege meine Hand ermutigend auf seinen Arm.

"Er kann dir helfen, Levi. Hast du nicht gehört? Er meinte, du würdest zu unserer Familie gehören. Vielleicht-"

"Warte, Amaya", fällt er mir ins Wort. "Er darf nicht erfahren, dass mein Vater mir das angetan hat."

"Was?", verlässt es mich, bevor ich überhaupt wirklich über seine Worte nachdenken kann.

Levi wiederholt nicht, was er gesagt hat, weil er ganz genau weiß, dass ich ihn eigentlich verstanden habe. Eigentlich.

"Aber Levi, ich dachte..."

Ich verstumme, als mir bewusst wird, dass sowieso nichts davon Levi erreicht. Er dreht sich einfach um, lässt sich auf meinem Bett nieder und starrt an die gegenüberliegende Wand.

"Meine Mutter würde mir das niemals verzeihen", spricht er vor sich hin.

Dann soll sie es nicht tun, will ich sagen. Welche Mutter sieht einfach zu, wie ihr Mann ihren Sohn verprügelt? Welche Mutter steht einfach daneben, während ihrem eigen Fleisch und Blut höllische Schmerzen und seelische Narben zugefügt werden? Welche Mutter bittet ihren Sohn dann auch noch darum, sich keine Hilfe zu holen?

Aber das würde ich niemals sagen, weil ich weiß, dass es immer noch diesen einen Teil gibt, der seiner Mutter gehorchen und ihr gefallen möchte. Ich kenne dieses Gefühl. Egal, wie schrecklich das ist, was sie ihm antut, er will ihren Stolz verdienen. Er liebt seine Mutter viel zu sehr, als das jemals abstreiten zu können.

"Hast du deinem Vater schon irgendetwas erzählt?", reißt Levi mich aus meinen Gedanken, Ruhe in seinen Worten, doch Panik in seinen Augen.

Ich schüttle meinen Kopf. Ich kann die schreckliche Tatsache nicht einmal aussprechen. Es unterscheidet mich nicht wirklich viel von seiner Mutter. Auch ich stehe einfach daneben und sehe ihm bei seinem Leid zu.

"Wirklich nicht?", hakt er nochmal nach.

"Nein, habe ich nicht", versichere ich ihm. "Aber das heißt nicht, dass ich es nicht möchte."

Er springt hektisch von meinem Bett auf, seine Hände flehend - und vielleicht auch zum Schutz vor sich selbst - vor seinen Körper ausgestreckt.

"Amaya-"

"Ich werde nichts sagen, okay?", bin ich jetzt diejenige, die ihn einfach unterbricht, und mein ganzer Mund steht in Flammen.

Seine Arme fallen erleichternd.

"Ich weiß, dass das alles andere als einfach für dich ist, aber ich kriege das schon hin", versucht er uns beide zu überzeugen.

Er kann nicht verbergen, wie sehr er sich für seine eigenen Worte verabscheut. So tun zu müssen, als würde es wirklich etwas geben, was er machen kann. Als wäre das alles auch nur im geringsten seine Schuld. Als würde es auch nur irgendetwas geben, was das Verhalten seines Vaters rechtfertigen könnte.
Es liegt in seiner gekräuselten Stirn.

"Vergiss mich für einen Moment, Levi. Es geht mir hierbei um dich."

Er schluckt schwer. "Du musst dir keine Sorgen machen."

Darauf sage ich nichts.

Ich mache mir nämlich keine Sorgen.
Ich habe Todesangst.

Sein Vater wird mit jedem Mal aggressiver, mit jedem Mal unachtsamer und auffälliger. Er scheint das letzte bisschen widerlicher Kontrolle, das er noch über sich hatte, endgültig zu verlieren. Wie lange wird Levi das mitmachen können? Wie lange wird er sich selbst immer und immer wieder zu Boden treten lassen können, bevor er nicht mehr aufstehen wird?

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