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A m a y a

Ich glaube, manchmal warte ich nur darauf, dass andere mir weh tun. Und wenn sie es dann tun, verspüre ich eine gewisse Selbstgefälligkeit, weil ich recht hatte. Und dann fühle ich nur noch Schmerz.

Egal, wie sehr man einen Menschen liebt, wie sehr man geliebt wird, wenn jemand sagt, er würde dich niemals verletzen, dann ist das die verdammt größte Lüge auf der ganzen Welt. Je früher man das lernt, desto besser.

Die schlimmsten Dinge, die andere mir angetan haben, kamen kurz nach dem sie mir gesagt haben, wie sehr sie mich lieben, wie viel ich ihnen bedeute. Warum sollte ich ihnen dann noch glauben?

Irgendwie hat es mir also nur die Bestätigung gegeben, die ich brauchte, als ich Levi heute Morgen im Schulflur über den Weg gelaufen bin und seine Augen, die sonst immer mit so viel Sanftheit und Admiration auf mich runtergesehen haben, plötzlich mit so viel Abscheu gefüllt waren.

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich den Pullover angezogen habe, den er mir vor ein paar Jahren geschenkt hat. Vielleicht war das völlig schwachsinnig und ich hätte das nicht tun sollen, aber es ist der einzige Pullover, dessen Ärmel lang genug sind, meine Arme nicht zu entblößen, wenn sie etwas hochrutschen. Das weiß Levi. Genau deswegen hat er ihn mir damals gegeben. Und genau deswegen folgt er mir, als ich seinen Blicken in der fünften Stunde nicht mehr standhalten kann und mich mit der Ausrede, dass ich zur Toilette müsste, aus dem Unterricht entschuldige.

Egal, wo ich heute bin, Levi ist auch da. Levi ist immer überall. Er ist in meinem Herzen, er ist unter meiner Haut. Valerian Blackwell ist wie ein gottverdammter Parasit. Ich kann ihm nicht entkommen.

Nicht einmal, als ich die Tür zur Damentoilette aufreiße und darauf warte, dass sie hinter mir ins Schloss fällt. Er fängt sie rechtzeitig ab und folgt mir. Direkt bis auf die Damentoilette.

Ich gebe mein Bestes, ihn einfach zu ignorieren und laufe zum mittleren Waschbecken. Wenn ich schon mal hier bin, dann kann ich nachsehen, was an meinem Arm so sehr brennt. Wahrscheinlich habe ich ihn nur zu sehr gestreckt und die frischen Wunden sind aufgerissen. Es wäre zumindest nicht das erste Mal.

Ich hasse dieses Gefühl. Ich meine, ich weiß, was ich tue und dass es Konsequenzen hat. Ich weiß, dass ich Narben davontragen werde und für den Rest meines Lebens - wie lang oder kurz es auch immer werden wird - daran erinnert werde. Aber es ist anders, wenn es so frisch ist. So wie jetzt. Ich weiß, dass ich frisches Blut sehen werde, wenn ich den Ärmel hochschieben und meinen selbst-gemachten Verband aus Toilettenpapier und Klebeband löse. Es wird mich direkt in den gestrigen Moment zurückziehen. In die verzweifelnde Leere, die ich gespürt habe. Dieses Loch mitten in meinem Bauch, das mich fast bis nach außen verschlungen hätte. Dieser Wunsch, diesen endlosen Schmerz in mir drin auf eine Stelle außerhalb versetzen zu können, damit die Stimmen wenigstens für ein paar Sekunden leise werden. Leiser zumindest.

Ich bin nicht bereit, vor Levi's Augen wieder in dieses Loch zu fallen. Nicht, wenn er nicht mehr derjenige sein kann, der mich da rausholt.

Ich hebe meinen Blick vom Waschbecken und drehe mich nach links. Er steht mit dem Rücken an die Tür gelehnt, sein durchdringlicher Blick intensiv auf mich gerichtet.

"Kannst du mich nicht endlich in Ruhe lassen?", fauche ich ihn an. Schon den ganzen Tag versuche ich, ihm zu entkommen.

Auf den Fluren ist er mir ständig entgegengelaufen. In den Pausen, die ich inzwischen alleine in der Schulbibliothek verbringe, haben er und seine neuen Freunde sich direkt vor die großen Fenster gestellt, sodass er immer wieder zu mir rübersehen konnte. Letzteres geht zwar fast schon so lange, wie er mich verlassen hat, doch es war noch nie so extrem wie heute.

StormWhere stories live. Discover now