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L e v i

Zum ersten Mal, seit ich Amaya kenne, ist es in ihrem Haus völlig still.

Nicht einmal die Erinnerungen daran, was wir hier schon miteinander erlebt und durchgemacht haben, können zu mir durchdringen.

Sie sitzt gegenüber von mir am Esstisch, während ihr Vater etwas zum desinfizieren auf die Wunde meiner aufgeplatzten Lippe tupft. Ich möchte ihn fragen, ob er auch irgendetwas hat, das meine Seele wieder reinigt. Er kann alles dafür tun, die Verletzungen in meinem Gesicht zu versorgen, aber das, was ich in mir trage, kann niemals wieder geheilt werden.

Ich kann Amaya's Blick auf mir spüren und gebe mein bestes dafür, Ihn nicht zu erwidern. Würde ich sie jetzt ansehen, dann würde ich endgültig zerbrechen.

Henry reißt die Verpackung einer weiteren Kompresse auf, das Geräusch die Luft wie ein Messer schmerzhaft schneidend.

"Frisches Bettzeug liegt im Wohnzimmer", tritt Nina zu uns.

Als wir vor ungefähr fünfzehn Minuten angekommen sind, hat sie bereits mit einem wütenden Ausdruck auf ihrem Gesicht in der Küche gewartet, doch dann hat sie uns drei gesehen hat und konnte sich nicht einmal dagegen wehren, dass Henry meinte, ich würde die Nacht bei ihnen verbringen. Sie hat bloß gesagt, sie würde sich um einen Schlafplatz kümmern, und ist dann verschwunden.

"Danke", bricht es aus mir heraus, meine Stimme so rau, dass ich Amaya in meinem Augenwinkel neben mir leicht zusammenzucken sehen kann.

"Schon gut", antwortet Nina. "Ich möchte aber, dass es auch dort bleibt. Amaya, du schläfst in deinem Zimmer."

"Okay", kommt es leise von Amaya. Sie hätte sich eigentlich unter jeden Umständen gegen den Befehl ihrer Mutter gestellt, doch das hier ist anders. Für jeden von uns.

"Ich muss morgen früh raus, also...", verabschiedet Nina sich, ein unsicherer Ton in ihrer Stimme.

Keiner von uns weiß, wie er sich verhalten soll. Keiner, außer Henry. Er ist einfach ein Vater und Ehemann. Etwas, was für andere so unmöglich zu sein scheint, kommt zu ihm, wie Bienen zu Nektar. Es ist reine Natur für ihn.

"Ist okay. Ich komme auch gleich nach", wendet er sich an seine Frau, die sich umdreht und geht.

Henry lässt von meinem Gesicht ab, räumt seinen Erste-Hilfekasten wieder zusammen und steht auf.

"Bin sofort wieder da", sagt er, bevor er Amaya und mich alleine lässt.

Sie sieht mich immer noch an, ich immer noch von ihr weg, und jetzt, wo wir die einzigen in diesem Raum sind und ich keine Ablenkung mehr habe, fängt es an, mir mein Herz Stück für Stück aus der Brust zu reißen.

"Levi?", flüstert Amaya vorsichtig.

"Mhm?", frage ich bloß, selbst zu unfähig dazu, eine Konversation mit ihr zu führen.

Ich will nicht zerbrechen. Ich will anderen nicht zeigen, dass mein Vater endlich geschafft hat, was er so lange versucht hat; er hat mich ruiniert.
Sein Gesicht, als er in mein Zimmer gestürmt und auf mich losgegangen ist, ist etwas, was ich niemals vergessen werde. Ich konnte sehen, wie sehr er sich selbst davon abhalten musste, nicht einfach alles zu beenden, was er schon so oft angefangen hat.

"Bist du sauer auf mich?", reißt die Stimme meiner besten Freundin mich aus meinen Gedanken. "Weil mein Vater jetzt wegen mir davon weiß?"

Wortlos schüttle ich meinen Kopf.

Viel eher bin ich wütend auf mich, weil ich überhaupt erst von ihr erwartet habe, diese Last alleine zu tragen, nur weil ich diese lächerliche Hoffnung nicht loswerden kann.
Amaya ist nicht diejenige, die darunter leiden sollte.

StormWhere stories live. Discover now