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L e v i

Ich mache einen Schritt in ihre Richtung, stecke ihr Handy währenddessen wieder in meine Hosentasche und greife nach ihrem Arm.

"Was tust du da?"

Ihre Frage ignorierend lege ich meine Hand auf den Verband.

"Darf ich?"

Ich muss wissen, was sie getan hat. Wie tief sie gegangen, wie oft. Aber das werde ich nicht tun, bis ich nicht ihre Erlaubnis habe. Was sie jetzt braucht ist Vorsicht und Sicherheit, nicht das Gefühl, verurteilt zu werden und machtlos zu sein.

Zu meinem Glück - oder Unglück - nickt sie und gibt ein leises "Okay", von sich.

Ganz langsam fange ich an, den Verband zu lösen, meine Augen dabei konstant auf Amaya's fixiert, die bedrückt auf ihren Arm blicken.

"Storm", sage ich sanft. "Sieh mich an."

Es gibt Momente, in denen man bereut, was man sich selbst angetan hat. Man sieht diese Verletzungen auf seinen Armen, seinen Beinen, und man denkt plötzlich an das kleine Kind, das man mal war. Einem wird bewusst, dass man das alles auch ihm oder ihr angetan hat, dass auch sie diese Narben tragen müssen.

Das Gefühl ist unbeschreiblich. Es ist irgendetwas zwischen Bedauern und Wut, nicht anders in diesem erbärmlichen Leben klarzukommen. Die Einsicht, den Rest genau dieses erbärmlichen Lebens mit den Narben rumlaufen zu müssen.
Angst davor, dass andere Menschen sehen könnten, was man sich angetan hat. Panik davor, dass sie einen für verrückt halten, oder noch schlimmer; danach fragen.

Im Sommer tragen Amaya und ich keine T-Shirts, im Winter tragen wir oft noch ein Sweatshirt unter unserer Kleidung, falls unsere Ärmel mal hochrutschen. Wir verstecken uns vor der ganzen Welt, und doch haben wir das Gefühl, von ihr gesehen und verurteilt zu werden.

Also soll sie mich ansehen. Sie soll nicht sehen müssen, was sie sich selbst angetan hat.
Sie soll das alles nicht fühlen müssen. Sie soll in meine Augen sehen und sie soll die Liebe spüren, die ich für sie empfinde und nie ausspreche.
Sie soll einfach zulassen, dass ich mich um sie kümmere. Genau deswegen bin ich hier.

Fast schon erleichtert hebt sie ihren Blick, Tränen glänzend in ihren dunklen Augen.

"Sieh mich einfach an", befehle ich sanft. Sie nickt verstehend und krallt sich nach Halt suchend in mein Shirt.

Ich halte die Luft an, als ich meinen Kopf in die Richtung ihres Armes drehe.

Ich denke, nie wieder atmen zu können.

Die Schnitte sind tiefer, als jemals zuvor. Chaotisch und durcheinander. Es gibt kaum noch eine freie Stelle auf ihrem Arm.

Ich wünschte, ich hätte irgendetwas, woran ich mich festhalten könnte. Der Gedanke daran, wie verzweifelt und hoffnungslos sie im Badezimmer stand, lässt meine Beine immer schwächer unter mir werden.

"Bist du wütend auf mich?", kommt es von Amaya.

Ich bin wütend auf mich. Das alles hier ist meine Schuld. Ich will genau das sagen, aber noch bevor ich das tun kann, kommt sie mir zuvor.

"Ich weiß, dass ich unser Limit überschritten habe, okay?", gesteht sie beschämt.

"Es musste einfach sein. Es tut mir leid. Für den Rest des Monats fasse ich keine Klinge mehr an. Versprochen."

StormWhere stories live. Discover now