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L e v i

Ich schaffe es gerade noch so, die Tür der Toilettenkabine aufzuwerfen, bevor ich meine abscheulichen Worte aus mir rausbreche.

Alles in mir zieht sich zusammen. Mein Magen, mein Herz, mein Brustkorb. Mein Hals brennt, meine Hände zittern, meine Lungen nehmen keinen Sauerstoff mehr auf.

Und ich verdiene es. Ich verdiene jedes bisschen Schmerz, jedes meiner quälenden Gefühle und diesen verschlingenden Selbsthass, den ich im Moment verspüre. Für das, was ich Amaya angetan habe, verdiene ich sogar noch Schlimmeres.

Ihr Gesichtsausdruck, Gott, die Leblosigkeit in ihren großen Augen, nach dem ich ihr diese schrecklichen Worte an den Kopf geworfen habe.

Mein Magen entleert sich ein zweites Mal. Ich balle meine Hände zu Fäusten und hole mit links aus, um so kräftig wie möglich gegen die weiße Fliesenwand zu schlagen. Würde ich das nicht tun, würde die Hand gerade wahrscheinlich um Adam's Hals liegen. Und wenn man schon vom Teufel spricht, gibt es anscheinend keinen besseren Moment für ihn, genau dann den Raum zu betreten.

"Valerian, Alter", höre ich seine nervige Stimme bis hier hin. Ich drehe mich um und will die Tür meiner Kabine zuziehen, doch er kommt bereits um die Ecke auf mich zugelaufen.

Und ich hänge ein drittes Mal über der Toilette.

Bei diesem Mal ist es aber völlig Adam's Schuld. Es war vorbei, als ich sein Gesicht gesehen habe. In diesen ganzen letzten Monaten stand ich so oft davor, alles abzubrechen und ihm einfach seinen verdammten Kopf abzureißen, wie ich es ursprünglich geplant hatte. Genauso wie jetzt. Wenn ich es jetzt beenden würde, wäre es vielleicht nicht zu spät, mir meine Storm zurückzuholen. Vielleicht könnte ich ihr alles erklären und sie würde es verstehen.

Sie würde es verstehen. Ich kann das bloß nicht von ihr erwarten.

Aber das ist auch egal, denn ich werfe meinen Plan wieder über Bord, als ich meine kleine Schwester vor mir sehe. Zitternd und weinend und so, so beschämt. Ich sehe sie im Krankenhaus und auf der Polizeiwache. Ich sehe sie in dem Moment, in dem man ihr gesagt hat, dass man nichts dagegen tun könnte. Ich sehe sie in den Momenten, in denen sie sich die Schuld für alles gegeben hat. Ich sehe die Tage, an denen sie nicht aus dem Bett gekommen ist und kaum gegessen hat. Ich sehe ihre Panikattacken und Zusammenbrüche und ich sehe sie in dem Auto meiner Großeltern, nach dem sie mich angefleht hat, sie gehen zu lassen.

Aber vor allem sehe ich uns beide gestern Abend.
Wie sie am Telefon in Tränen ausgebrochen ist und mir gesagt hat, dass sie einfach nur wieder normal leben möchte, und mein Versprechen an sie, sie wieder nach Hause zu holen.

"Val-", fängt Adam an. Ich kann diesen Namen nicht auch noch ein einziges Mal aus seinem widerlichen Mund hören, und bevor ich die Konsequenzen überdenken kann, ramme ich meinen Unterarm in seinen Bauch und schubse ihn von mir weg, ohne überhaupt hinzusehen, weil mein Körper noch damit beschäftigt ist, die letzten Minuten loszuwerden.

Und dann, als ich denke, in jeder möglichen Hinsicht leer zu sein, betätige ich die Toilettenspülung, drehe mich um und stürme einfach an Adam vorbei zum Waschbecken, um mir mein Gesicht mit eiskaltem Wasser zu waschen, in der Hoffnung, endlich wieder zu Verstand zu kommen. In letzter Zeit habe ich das Gefühl, mich selbst immer mehr aus den Augen zu verlieren. Das Beste an mir war Amaya. Alles schöne, das ich besaß, hat zu ihr gehört. Meine Existenz kann zu ihr zurückgeführt werden. Seit dem ich sie nicht mehr habe, halte ich es kaum noch aus, in den Spiegel zu sehen. Ich erkenne mich selbst nicht wieder.

"Was ist falsch mit dir?", reißt Adam mich aus meinen Gedanken, während ich gerade dabei bin, meinen Mund auszuspülen, um mir diese Lügen von meiner Zunge zu waschen. Ich versuche ihn zu ignorieren und stütze mich mit meinen Händen rechts und links vom Waschbecken ab, doch er weiß ganz genau, wie er mich auf die Spitze treiben kann.
"Du wechselst ein Wort mit ihr, und plötzlich hängst du über der Toilette und kotzt dir die Seele aus dem Leib?"

StormWhere stories live. Discover now