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A m a y a

"Hey, Amaya, richtig?"

Trotz der deutlichen Betonung meines Namens dauert es eine Weile, bis ich realisiere, dass jemand mit mir spricht. Das passiert nur ganz selten, und wenn, dann wiederholen sich diese drei ganz bestimmten Worte in meinem Kopf.

Bereite dich vor.

Manchmal weiß ich selbst nicht, worauf ich mich überhaupt vorbereiten soll. Auf verletzende Worte oder angewiderte Blicke oder fremde Hände auf meinem Körper, weil andere denken, ich wäre ihnen etwas schuldig. Oft auch alles auf einmal.

Ich drehe mich erst um, als ich ein leichtes Tippen auf meiner Schulter spüre, und dann sehe ich in ein freundlich lächelndes Gesicht. Komisch. Das ist bis jetzt noch nie passiert.

Vielleicht ist das alles nur eine Fassade.

Ich sage nichts, starre die Schönheit vor mir einfach nur an und versuche, mich vorzubereiten.

"Ich bin Nova", stellt sie sich vor und streicht sich eine dunkle, lange Haarsträhne hinter die Ohren. "Heute ist mein erster Tag hier und ich brauche ein paar Bücher aus der Schulbibliothek, um den Stoff nachzuholen, den ich bis jetzt verpasst habe."

Ich nehme diese ganzen Informationen an, weiß aber nicht so recht, was ich mit ihnen anfangen soll. Wieso spricht sie mit mir darüber? Wieso lächelt sie mich an? Ich kann noch immer nichts sagen, doch das scheint sie nicht zu stören.

"Man hat mir gesagt, du würdest dich gut auskennen?", fragt sie. "In der Schulbibliothek, meine ich. Von dir wird schon als Profi geredet." Sie lacht leicht, aber nicht über mich. Eher für mich. Irgendwie. Mit mir, wenn ich nicht so erstarrt wäre und sie wenigstens anlächeln könnte.

"J-ja, ich...Ich bin oft da", schaffe ich es endlich, etwas zu sagen, meine Stimme heiser und leise. Das Lächeln auf Nova's leicht rötlichen Lippen wird größer, das auf meinen hoffentlich sichtbar.

"Würde es dir etwas ausmachen, mir zu helfen?"

"Natürlich nicht", antworte ich.

"Supi!", kommt es freudig von Nova. "Hast du jetzt gerade Zeit?"

Mir bleiben noch ungefähr zehn Minuten bis zu meinem nächsten Kurs. Ich könnte in fünf fertig sein. Also nicke ich und führe Nova aus dem Schulgebäude über den Hof. Noch immer verwundert darüber, dass sie ausgerechnet mich um Hilfe gebeten hat.

Ich meine, zu sagen, dass ich mich in der Schulbibliothek auskenne, wäre noch untertrieben, aber ich frage mich einfach, wie sie auf mich gekommen ist. Besser gesagt wer sie auf mich gebracht hat. Mir fällt keine einzige Person ein, die jemals etwas Gutes über mich sagen würde. Weder auf dieser Schule, noch auf diesem Planeten. Gott, nicht einmal ich selbst würde etwas Gutes über mich sagen. Ich könnte es nicht einmal. Wenn ich in den Spiegel sehe, fallen mir einfach sofort alle Dinge auf, die falsch an mir sind. Und auf diese Dinge konzentriere ich mich dann, bis alles andere in den Hintergrund gerät. Nicht meine beste Qualität, ich weiß. Damit wären wir dann auch wieder am Anfang. Es ist so Vieles nicht richtig mit mir.

Nova gibt mir eine Liste, die mir dabei hilft, innerhalb von drei Minuten insgesamt sechs Bücher rauszusuchen. Sie läuft dabei wortlos neben mir her und seufzt nur verzweifelt, als sie sieht, dass es sich bei meinem Fund um ein Mathebuch handelt. Darauf kann ich nur mitfühlend lächeln. Mathe war auch nie wirklich meine Stärke. Beim Lernen hat Levi mir immer geholfen. Es gab keine Gleichung, kein Problem, so kompliziert es auch war, das er nicht lösen konnte. Jetzt ist er so verdammt kompliziert geworden. Ich finde einfach keine Lösung, und er kann mir nicht mehr helfen.

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