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L e v i

Der Moment, in dem ich die Wut meines Vaters zum ersten Mal zu spüren bekommen habe, ist die aller erste Erinnerung, die ich habe. An mein Leben davor erinnere ich mich nicht mehr. Als Kind wusste ich nicht, was ich mit dieser rohen, an mich gerichtete Wut anfangen sollte, also habe ich sie runtergeschluckt, bis ich Blut geschmeckt und Scherben gehustet habe.

Dafür hat er mich bestraft. Er hat mich bestraft, wenn ich geweint habe oder wenn ich glücklich war oder wenn ich ich war. Er hat mich bestraft, wenn ich einfach sein Sohn war. Irgendwann wollte ich das nicht mehr sein. Ich wollte zu einer Person werden, die er nicht mehr erkennen würde. Ich wollte ihm die Macht, die er all die Jahre über mich hatte, nur noch nehmen.

Die Narben auf meinen Armen und Schultern waren ein Zeichen seiner Kontrolle über mich. Das wollte ich ihm nicht geben, also habe ich mir Verletzungen zugefügt, von denen ich sicher sein konnte, dass sie vernarben würden. Es hat mit aufgeschürften Knien angefangen, als ich aus Versehen auf den harten Asphalt gefallen bin. Kleine, aber tiefe Schnitte, als ich meiner Mutter beim kochen helfen wollte und aus Versehen mit dem Messer ausgerutscht bin. Verbrennungen, als ich eine Kerze anzünden wollte und das Feuerzeug aus Versehen zu nah an meine Finger gehalten habe.

Es waren meine Narben. Meine Verletzungen. Meine Kontrolle.

Irgendwann habe ich einen anderen Weg gefunden.

Ich verabscheue mich selbst dafür, aber ich würde mir meine Haut lieber aufreißen, mir in die Finger schneiden und sie verbrennen und meine Arme und Beine bis zum Punkt der Unkenntlichkeit entstellen, als auch nur eine weitere Sekunde der Junge zu sein, der für immer die Zeichen der ersten Erinnerungen an sein Leben tragen müsste.

Ich habe niemandem davon erzählt. Es hat niemanden interessiert.

Außer Amaya.

Sie hat zwar nie wieder etwas darüber erwähnt, doch ich weiß ganz genau, dass sie meine Narben zum ersten Mal in der Nacht gesehen hat, in der sie mich panisch angerufen hatte, weil sie ihre Blutung nicht stoppen konnte. Wir lagen zusammen in ihrem Bett und die Ärmel meines Shirts sind etwas hochgerutscht. Amaya hat mich einfach angesehen und ihren Griff um mich verstärkt und unsere Herzen Eins miteinander werden lassen. Ich habe keine Ahnung, welche Erinnerung sie an diesen Moment hat, aber für mich wird es für immer die Nacht sein, in der sie mich gerettet hat.

Ein paar Monate später kam sie in mein Zimmer geplatzt, während ich gerade dabei war, mich umzuziehen. Ich stand mit dem Rücken zur Tür, also hatte sie eine klare Sicht auf meine entblößten Schultern. Und sie wusste es einfach. Sie wusste es. Ich hatte ihr zu diesem Zeitpunkt nur wenig über meinen Vater erzählt, aber es hat anscheinend gereicht, denn ein paar Sekunden später musste ich ihr bis in den Flur hinterherrennen und sie davon abhalten, in sein Zimmer zu stürmen.

Sie hat so laut geweint und immer wieder gesagt, dass sie ihn so verletzen würde, wie er mich. Ich wusste sofort, dass sie das niemals könnte. Amaya ist stark und mutig und so, so bewundernswert, aber sie würde anderen niemals den Schmerz zufügen, den wir erleiden müssen. So ist sie einfach nicht.

Sie ist eine Person mit einem wunderschönen Herzen und einer weichen Seele, die in eine grausame Welt geboren wurde. Und dennoch lässt sie sich ihre Reinheit nicht nehmen. Sie hat so viel Liebe in sich, aber sie vergisst manchmal, sich selbst etwas davon zu geben. Bevor sie der Sonne sagen würde, dass sie zu kräftig scheint, würde sie lieber unter ihren Strahlen verbrennen.

Also weiß ich ganz genau, was ihr Blick zu bedeuten hat, als ich am Ende der Stunde aufstehe und meine Jeans dabei an den Oberschenkeln festhalte, damit der Stoff sich nicht in meiner offenen Haut verfängt.
Sie sorgt sich um mich. Sie verzieht ihr Gesicht gequält, weil sie nach Allem, was ich ihr angetan habe, lieber verbrennen würde, als mir auch nur im Ansatz so sehr weh zu tun, wie ich ihr.

StormDonde viven las historias. Descúbrelo ahora