Im Baum

424 96 12
                                    

„Kommt schon. Gwydion wartet auf Euch." sagte Zayn, als Louis neben ihm im Inneren des Baumes auftauchte. Erstaunt und ungläubig sah er sich um und erkannte jetzt, dass es sich bei dem Baum keineswegs um einen einzelnen Baum gehandelt hatte. Vielmehr waren es mehrere Bäume, die so eng beieinander standen und im Laufe der Jahrhunderte miteinander verwachsen waren, sodass sie einen Schutzwall bildeten. Zayn führte ihn durch die Dunkelheit zur Mitte des Baumes, wo ein Feuer brannte. Ein Topf hing über einer Konstruktion aus Metall und mehrere Männer saßen um die Flammen herum. Unter ihnen befand sich ein alter Mann, der gebeugt auf dem Boden saß und den Kopf hob, als Zayn ans Feuer trat. „Meister, ich habe hier einen Geächteten in einer unserer Gruben gefunden. Er trägt eine Folterverletzung mit sich, die Ihr Euch dringend ansehen müsst. Ich habe sie bereits notdürftig versorgt." Er neigte den Kopf vor dem alten Mann, der nickte und sich erhob. Als er Louis einen Blick zuwarf, verbeugte er sich rasch vor dem alten Mann. „Mein Name ist Gwydion. Lass mich deine Wunde sehen." verlangte der Mann und Louis trat an ihn heran, streckte seine rechte Hand aus und zeigte dem Mann die Verletzung. Seine Hände waren warm, als er Louis Hand nahm und sie vorsichtig untersuchte. Noch nie zuvor war Louis bei einem Heiler gewesen, doch er hatte den Eindruck, dass dieser Mann, der fast so alt, wie die Eiche schien, mehr wusste, als so mancher Heiler. Er drehte Louis Hand vorsichtig und bewegte seinen verletzten Daumen. Vor Schmerz zog Louis die Luft durch die Zähne ein. „Daumenschrauben mein Junge?" erkundigte sich der Mann. Louis nickte. „Was hast du gestohlen?" - „Einen Apfel, Sir." Gwydion nickte und bedeutete Louis sich zu setzen. Ein junger Mann rutschte rasch beiseite, um Platz zu machen. „Danke Flint." sagte Gwydion zu dem jungen Mann untersuchte weiter Louis Daumen. „Nun, ich kann die Verletzung heilen, aber ich befürchte, dass die Folter deinen Knochen zerstört hat. Ob du diesen Finger wieder benutzen kannst, wenn er geheilt ist, kann ich nicht sagen." - „Das macht nichts, Sir. Solange ich keine Schmerzen mehr habe." sagte Louis dankbar und kniff nochmals die Augen zu, als seine Hand gedreht wurde. „Ich werde dir einige Kräuter suchen und dir einen Verband umlegen. Bleib solange hier sitzen." wies der alte Mann ihn an und erhob sich wieder. „Ich begleite Euch. Es ist schon dunkel draußen. Ihr solltet nicht alleine den Baum verlassen." sagte ein dunkelhaariger Kerl, der Louis gegenüber am Feuer saß und stand ebenfalls auf. Hinter ihm an der Innenseite des Baumes lehnte ein weiterer Langbogen, den er aufnahm und dem alten Mann nach Draußen folgte.

Ein wenig unsicher, ob es ihm gestattet war, so nahe am Feuer zu sitzen, rutschte Louis noch ein wenig näher an die Flammen heran, die gerade einen dicken Ast verschlangen. „Ihr seid also vogelfrei?" ein großer, breitschultriger Kerl, der ihm gegenüber saß, sah ihn interessiert an. „Ich bin Veland." setzte er noch nach, als ihm auffiel, dass er sich Louis noch nicht vorgestellt hatte und Louis nickte. „Ja, ich wurde für vogelfrei erklärt." bestätigte Louis und hielt die kalten Hände in Richtung des Feuers. Die Wärme tat gut und seine Finger kribbelten angenehm, als die Kälte langsam wich. „Wollt Ihr den Umhang nicht ablegen? Dann kann der Stoff am Feuer trocknen." schlug ein rothaariger, junger Mann mit Spitzbart und freundlichem Lächeln auffordernd vor und deutete auf Louis dunkelgrünen Umhang. Tatsächlich war er noch recht klamm, obwohl er zusammen mit Zayn im Schutz der Bäume lange gegangen war, war der Mantel noch nicht ganz trocken. Louis öffnete die Schnalle, die den Umhang vorne zusammenhielt und zog den Stoff von den Schultern. „Gebt mir das, ich kann es übers Feuer hängen, ohne dass es verbrennt." bot der Rothaarige an und Louis reichte ihm den Umhang als Knäuel. „Mein Name ist Flint." sagte er über die Schulter zu Louis und kletterte dann geschickt an der borkigen Innenseite des Baumes hinauf, bis er eine Astgabel erreicht hatte, über die er den Umhang warf. Die aufsteigende, heiße Luft des Feuers, das im Inneren des Baumes nach Oben stieg um zwischen den Ästen ins Freie hinauszuziehen, würde den Stoff trocknen. „Wie lange seid Ihr denn schon unterwegs?" fragte Zayn, nachdem er seinen Köcher und den Langbogen an die Wand gelehnt hatte und setzte sich nun ebenfalls. „Ich kann es nicht mehr genau sagen, aber ich denke, dass ich so etwa drei Tage lang unterwegs gewesen sein muss." sagte Louis und wurde von seinem Magen unterbrochen, der laut knurrte. Offenbar hatten auch die Umsitzenden das Geräusch gehört, denn sofort wurden ihm einige Schalen und ein Tonkrug gereicht, aus denen die Truppe anscheinend gerade noch gegessen hatte. „Hier, Ihr müsst etwas essen." Doch bevor Louis nach der Schale hatte greifen können, hatte Zayn sie gepackt und und zu sich gestellt, sodass Louis sie nicht erreichen konnte. „Wir wissen noch nicht, ob wir ihm trauen können. Er bekommt nichts, bevor Gwydion uns nicht bestätigt hat, dass er kein Spion von Jonathan ist." sagte er scharf woraufhin Flint und Veland beschämt den Blick senkten. Zayn schien hier in dieser Gruppe eine wichtige Position inne zu haben, wenn die Beiden ihm so schnell gehorchten.

Der verlorene KönigWhere stories live. Discover now