Schlafnebel

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Der König war nicht zur Ruhe zu bringen. Er lies zwar zu, dass Louis in ins Bett brachte, doch konnte er nicht schlafen. Immer wieder stiegen ihm Tränen in die Augen und er machte sich die schlimmsten Vorwürfen, betrauerte Cuthberts Tod und bangte um das Leben seiner Freunde, die noch im Wald waren. Egal was Louis auch tat und sagte, er lies sich nicht ablenken, dabei brauchte er doch dringend Ruhe. „Du kannst doch nicht von mir verlangen, hier herum zu liegen, während ich anderswo gebraucht werde." protestierte Harry, als Louis ihn zum wiederholten Male darum bat, endlich die Augen zu schließen um wenigstens zu versuchen Schlaf zu finden. Seufzend stand Louis auf und verließ das Schlafgemach. „Wo gehst du hin?" fragte Harry und hob den Kopf. „Ich hole Gwydion." antwortete Louis und zog die Tür hinter sich zu. Um sicher zu gehen, dass Harry sich nicht davonmachte solange er den Zauberer suchte, blockierte er die Tür von außen, indem er eine Fackel von der Wand nahm und sie in den Türgriff schob. Harry würde das Zimmer nun nicht verlassen können und Louis konnte sicher sein, dass er noch da war, wenn er zurückkam.

Wo sich Gwydion aufhielt, wusste Louis nicht, doch er machte sich zuerst auf den Weg hinauf in den Bergfried, um in der kleinen Kammer des Zauberers nachzusehen. Die Treppenstufen knarrten, als er mit schnellen Schritten hinauf rannte und rasch mehrere Etagen hinter sich brachte. Draußen hatte die Sonne beinahe die Baumwipfel erreicht und der Himmel erstrahlte in einem seltsam intensiven Rot. Kurz blieb Louis am Fenster stehen und blickte hinaus. Der Himmel sah aus, als hätte jemand einen Eimer Blut ausgekippt und der Anblick lies Louis automatisch an Cuthbert denken. In Gedanken an den Heerführer, blieb er am Fenster stehen, ließ sich den kalten Wind um die Nase wehen und stellte sich vor, dass Cuthbert jetzt von den roten Wolken auf sie hinunterblickte. Vielleicht hatte er seinen Bogen dabei und beschützte sie alle, indem er alle Gefahren von dort oben abschoss, bevor sie die Merry Men erreichten. Der Gedanke war beruhigend. Lächelnd wischte sich Louis eine Träne aus dem Augenwinkel, zwinkerte dem Himmel zu und redete sich ein, Cuthbert hätte ihn gesehen. Es fiel leichter, den Tod eines Freundes zu akzeptieren, wenn man sich ausmalte, dass er vom Himmel aus über sie wachte. „Louis, was machst du hier?" Gwydion trat aus seiner Kammer und Louis zuckte erschrocken zusammen, weil er nicht mit dem Druiden gerechnet hatte. „Wolltest du nicht bei Harry bleiben?" Im Blick des alten Mannes glaubte Louis beinahe ein wenig Enttäuschung zu sehen. „Ja, ich bin auch gleich wieder bei ihm. Aber er hat gerade von Cuthberts Tod erfahren und sich nur mit Mühe davon abhalten lassen, zurück in den Wald zu gehen. Er will sich einfach nicht ausruhen und schläft nicht. Kannst du nichts tun, damit er ruhiger wird? Du hast doch Ed damals mit einem Kraut eingeräuchert, woraufhin er eingeschlafen ist. Ist das bei Harry nicht auch möglich?" fragte Louis und klang offenbar so verzweifelt, dass Gwydions Enttäuschung darüber, dass er Harry allein gelassen hatte, verebbte. „Ich komme mit zu ihm. Wir bekommen ihn schon ruhig gestellt. Natürlich kann ich verstehen, dass es ihm schwer fällt, ruhig liegen zu bleiben, aber er darf sich jetzt nicht überanstrengen." Gwydion nickte Louis auffordernd zu und stieg ihm voran die Stufen wieder hinunter.

Vor Harrys Kammer angekommen, entriegelte Louis die Tür und erklärte dem Zauberer rasch: „Das habe ich nur gemacht, um Harry daran zu hindern sich selbst auf den Weg nach Draußen zu machen." Der alte Mann zog anerkennend die Augenbrauen hoch und unter seinem dichten Bart war zu erkennen, dass sich sein Mund zu einem Lächeln verzog. Sie traten in die Kammer und Harry setzte sich sofort auf und blickte sie erwartungsvoll an. „Gibt es Neuigkeiten aus dem Wald?" frage er. „Nein, aber ich habe Gwydion noch einmal geholt, damit du endlich zur Ruhe kommst." sagte Louis. Harry ließ sich wieder in die Felle sinken und grummelte: „Ich brauche keine Ruhe. Mir geht es gut." Da er immer noch blass war, schenkte Louis seinen Worten natürlich keinen Glauben und nickte Gwydion nur zu. Der alte Mann zündete sich seine Pfeife an und trat an das Bett heran. „Harry, du solltest wirklich auf Louis hören. Dein Körper braucht ganz viel Ruhe, um das Gift zu verarbeiten." Beiläufig zog Gwydion an seiner Pfeife und blies Harry rasch eine Ladung Rauch ins Gesicht, wie er es bei Ed getan hatte. Der König hustete und riss die Augen auf, als ihm klar wurde, was der Druide gerade mit ihm anstellte: „Du kannst mich nicht...einfach....ich lasse nicht....zu...dass...." Mitten im Satz fielen Harry die Augen zu und sein Körper erschlaffte. Louis und Gwydion tauschten einen Blick und der Zauberer gluckste amüsiert. „Gegen dieses Kraut war bisher noch niemand widerstandsfähig genug. Auch ein König schläft bei diesen Dämpfen ein, ob er will, oder nicht." Gwydion löschte seine Pfeife und steckte sie zurück in die tiefen Taschen seines Mantels, dann blickte er auf Harry hinab und nickte leicht: „Wenn wir Glück haben, dann schläft er bis morgen Nachmittag durch." Er schien es sich anders überlegt zu haben und zog die Pfeife wieder hervor, um sie Louis in die Hand zu drücken. „Ich lasse dir die Pfeife da, du kannst ihn ja ein wenig einnebeln, wenn er früher aufwachen sollte." - „Wie lange soll er denn schlafen?" fragte Louis unsicher und nahm die Pfeife des Zauberers entgegen. „Drei Tage wären mit Sicherheit ideal. Vielleicht schaffst du es ja mit Hilfe der Pfeife." Gwydion zwinkerte Louis zu und verließ dann die Kammer. Er schien in irgendeiner Weise amüsiert darüber zu sein, dass er den König mit seinem Pfeifenrauch ausgeschaltet hatte.

Der verlorene KönigWhere stories live. Discover now