Thomas, der Vertraute

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Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, folgte Louis den dreien in den Thronsaal. Als er zu ihnen aufgeschlossen hatte, hielt er sich, genau wie Thomas, einige Schritte hinter Harry und Taylor.

„Hier verbringen wir im Winter die meiste Zeit des Tages gemeinsam. Natürlich habt Ihr auch in Euren Gemächern einen Kamin, wo Ihr sitzen könnt. Ihr seid also nicht gezwungen, den ganzen Tag mit jungen Männern zu verbringen." erklärte Harry und blieb mit der blonden Dame am Kaminfeuer stehen, damit sie sich die Hände wärmen konnte. „Es ist sehr schön hier." sagte sie und sah lächelnd über die Schulter. Zuerst dachte Louis, sie würde sich die hölzernen Säulen ansehen, doch dann bemerkte er, dass Thomas das Lächeln seiner Herrin kurz erwiderte. Offenbar trug seine Anwesenheit deutlich dazu bei, dass Lady Taylor sich sicher und geborgen fühlte, schließlich war er der Einzige, den sie hier am Hof wirklich kannte. Mit Sicherheit war es nicht einfach, allein an eine neue Burg zu kommen und egal, wie ruhig sich Lady Taylor geben mochte, Louis spürte, dass sie ein klein wenig nervös war. Jemanden dabei zu haben, der einem nahe stand, war in diesem Fall sicherlich nicht schlecht. „Ich zeige Euch gerne Eure Kammer, dann könnt Ihr Euch schon einrichten. Thomas wird eine Kammer direkt nebenan bekommen. Ich hoffe, das ist so passend." sagte Harry und seine zukünftige Frau nickte, bevor sie wieder Harrys Hand nahm und sich durch die Seitentür geleiten ließ.

Die Kammer, die man Lady Taylor zugeteilt hatte, war sehr schön und der ersten Dame am Hof angemessen. Der Raum war holzvertäfelt, verfügte über einen großen Kamin, vor dem mehrere hölzerne Stühle standen, die mit Kissen und Fellen gepolstert waren. Durch einen Durchgang gelangte man in ein Schlafgemach. Hier stand ein Bett, das dem Harrys sehr ähnlich war, mit Ausnahme, dass es über einen Baldachin aus besticktem Stoff verfügte. „Hier werde ich mich wohlfühlen." bemerkte sie, nachdem sie sich ausgiebig umgesehen und eines der Fenster geöffnet hatte. Der Blick über den schneebedeckten Wald war atemberaubend und sie blickte einen Moment in die Ferne. „Ich werde mich nun zurückziehen. Richtet Euch ein und sollte es an etwas mangeln, dann scheut Euch nicht, zu mir zu kommen." sagte Harry und machte respektvoll einen Schritt zurück. „Harry, eines wüsste ich gern noch. Wann ist die Vermählung geplant? Wie Ihr Euch sicherlich denken könnt, benötigt eine Dame ein wenig Zeit, um sich vorzubereiten." - „Heute Abend wird die Vermählung stattfinden. Es wird eine kleine Zeremonie sein und nur in Anwesenheit der Burgbewohner stattfinden." Louis sog bei diesen Worten die Luft scharf durch die Nase ein: heute Abend schon, würden Harry Taylor zur Frau nehmen. War das schon immer so geplant gewesen? Wieso hatte er nichts davon gewusst? Es wäre ihm sicherlich leichter gefallen, sich darauf vorzubereiten, wenn er im Bilde gewesen wäre. Harry fing Louis Blick auf und sagte rasch: „Ich weiß, es ist sehr schnell, aber mein Berater hielt es für wichtig, dass das Förmliche schnell erledigt wird. Ich ziehe mich jetzt zurück. Bis später." Mit einem erneuten Handkuss verabschiedete sich Harry, ging mit schnellen Schritten auf die Tür zu und betrat vor Louis und Thomas den Flur. „Oh und Thomas, Eure Kammer befindet sich hier." Harry drückte die Klinke einer Tür direkt gegenüber herunter und öffnete sie. Diese Kammer war winzig und verfügte nur über einen kleinen Kamin, der sicherlich nicht viel Wärme würde spenden können. Das Bett war schmal und durch das winzige Fensterchen kam wenig Licht, sodass Thomas hier immer Kerzen würde benutzen müssen. „Habt vielen Dank, Majestät." Der Vertraute von Lady Taylor nickte ergeben und blickte ihnen nach, als sie gemeinsam den Flur entlanggingen.

Erst, als sie um eine Ecke verschwunden waren, ließ Harry die königliche Körperhaltung fallen und seufzte: „Das war anstrengend. Wie findest du sie?" Unsicher sah er zu Louis hinunter, der seufzte und dann zugab: „Sie ist bezaubernd. Ich kann es nicht anders beschreiben. Sie ist höflich, unglaublich hübsch und scheint keine Probleme zu machen. Oh Gott, ich würde gerne sagen, dass ich sie nicht ausstehen kann, aber das wäre eine Lüge." - „Ja, mir geht es genauso. Ich wünschte, sie wäre ein Biest, dann könnte ich ihr gegenüber mein Missfallen kundtun. Aber sie ist so freundlich, dass es mir wirklich schwerfällt, sie nur zum Schein zur Frau zu nehmen. Sie hat Jemanden verdient, der es ehrlich mit ihr meint." Louis war ein absurder Gedanke gekommen und er kicherte: „Thomas wäre doch ein guter Kandidat. Er ist genauso freundlich wie sie und die Beiden scheinen sich sehr nahe zu stehen." - „Natürlich tun sie das. Vermutlich wurde er an der Burg als Spielkamerad eingesetzt, als sie noch Kinder waren. Da ist man zwangsläufig miteinander vertraut." Harry strich Louis über die Wange, dann sagte er: „Wollen wir ausreiten? Ich will die letzten Stunden vor der Vermählung noch einmal ein wenig genießen."

Der verlorene KönigWhere stories live. Discover now