Beute gemacht

394 73 6
                                    

Gemeinsam verließen sie die Eiche und stapften nebeneinander durch den Wald. Das Singen einer Lerche sagte ihnen, dass es noch früh am Morgen sein musste. „Wo habt ihr denn die Fallen aufgestellt?" fragte Louis und dachte an das Loch zurück, das Zayn gegraben hatte und in das er gefallen war. Ob sich auch hier unterhalb des Laubes und der Gräser, tiefe Gruben befanden? Automatisch bewegte sich Louis vorsichtiger und setzte den Fuß mit Bedacht auf. „Es ist nicht mehr weit. Wenn die Fallen voll sind, werden wir das sehen, denn dann ist das Gitter aus Ästen, das wir immer darüber legen, eingebrochen. Ich hoffe ja, dass vielleicht ein Wild in der Grube liegt, dann haben wir alle mal wieder eine leckere Mahlzeit." sagte Leofwine und blieb stehen. Louis hielt sich dicht hinter ihm und lugte besorgt über seine Schulter. „Hier ist es. Die Fallen befinden sich immer links eines Baumes. So kann man sich ein wenig orientieren und wir geraten nicht in unsere eigenen Fallen." Sie befanden sich jetzt in einem Stück Wald mit sehr jungen Bäumen, die alle recht weit auseinander standen. Genug Platz also, um die Gruben gut umgehen zu können, trotzdem ließ er Leofwine den Vortritt. „Oh, sie mal, hier ist etwas." Sie gingen neben einer Grube in die Hocke. Die Äste waren nur teilweise zerbrochen, wodurch die Grube noch zur Hälfte verdeckt war. „Hilf mir mal, das beiseite zu räumen." bat Leofwine und gemeinsam schafften sie Laub, Moos und Äste beiseite. Aus der Grube erklang sofort ein lautes, ängstliches Quieken und Louis wusste bereits, ohne hinsehen zu müssen, dass sich um ein Wildschwein handelte.

Die Beiden lugten in die Falle hinein und tatsächlich saß dort unten ein noch nicht ganz ausgewachsenes Wildschwein. Sicherlich wog es mehrere Pfund. „Willst du schießen?" fragte Leofwine und hielt Louis den Bogen auffordernd hin. „Nein, ich glaube, das machst lieber du. Ich will es nicht unnötig leiden lassen." Mit diesen Worten lehnte Louis dankend ab und dachte dabei an seinen kläglichen Pfeil, den er mit Harry abgeschossen hatte. Der Gedanke an den Lockenkopf versetzte ihm einen kurzen Stich, doch dann zwang er sich dazu, Leofwine aufmerksam zuzuschauen. „Gut, wie du möchtest, aber danach zeige ich dir, wie man richtig mit einem Langbogen umgeht." Er zog einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf die Sehne und zielte hinunter in die Grube. Er traf das Tief genau zwischen die Augen und es fiel zuckend auf die Seite. Ehrfürchtig starrte Louis seinen Begleiter an. Einen solch präzisen Schuss hatte er nicht erwartet und ihm klappte der Mund auf, während Leofwine den Bogen neben sich ins Gras legte und ein Seil von seinem Gürtel zog: es war aus Flachs, langen Gräsern und Stoffresten geflochten und sah ähnlich aus, wie das Seil mit dem Zayn ihn aus der Falle gezogen hatte. Er Das Seil wurde an einen nahegelegenen Baum gebunden und Louis kletterte hinunter in die Grube, wo er dem Wildschwein die Beine zusammenband und es am Seil befestigte. Obwohl es noch lange nicht ausgewachsen war, wirkte das Tier, das jetzt neben ihm auf dem Boden lag einfach riesig und Louis fragte sich, wie er und Leofwine es gemeinsam schaffen sollten, es hinauf zu ziehen. Hatten sie genug Kraft dafür, oder würden sie es liegen lassen und sich von den anderen Jungs Unterstützung holen müssen?

Nachdem er wieder aus der Grube geklettert war, packten die beiden Jungs das Seil gemeinsam und schafften es tatsächlich, das Tier Stück für Stück aus der Falle zu ziehen. Dafür hatten sie das Seil um mehrere Äste des Baumes geschlungen und verhinderten so, dass das Eigengewicht ihrer Beute es wieder zurückrutschen ließ. Es war eine schweißtreibende Angelegenheit und als sie es endlich geschafft hatten, was Louis Haar nass und fiel ihm strähnig in die Augen. Gemeinsam zogen sie ihre Beute ins nächste Gebüsch und verschlossen dann die Grube wieder mit Ästen, Gräsern und Laub, sodass sie alles gut in den Waldboden einfügte und Niemand mehr auf den Gedanken käme, hier etwas anderes, als festen Boden unter den Füßen zu haben. „Los, jetzt lass uns das Ding wegtragen. Sicherlich weißt du, dass das Wildern nirgendwo im Land gestattet ist." sagte Leofwine und zog Louis schnell in den Schutz des Gebüschs. Es war nicht sonderlich dicht, wodurch man die Umgebung gut im Auge behalten konnte. „Wie kriegen wir es denn von hier weg? Man kann es doch kaum anheben?" fragte Louis und zog sich die Kapuze des Mantels über, in der Hoffnung, ein wenig unsichtbarer zu werden. Würde sie jetzt Jemand sehen, wäre das wohl das Schlimmste, was ihnen hätte passieren können. „Wir könnten es an einen langen Ast hängen und dann auf den Schultern tragen. So verteilt sich das Gewicht viel besser und wir würden es auch zu zweit hinbekommen." überlegte Leofwine und begann auch schon, das Unterholz nach einem langen, gerade gewachsenen Ast zu durchsuchen. Louis blieb neben dem Schwein auf dem Boden hocken und behielt die Umgebung im Auge, während Leofwine ziemlich laut durch das Unterholz pflügte, wahllos Äste hervorzog und sie wieder wegwarf, wenn sie nicht zu gebrauchen waren. Er war so laut, dass Louis sich ein wenig unwohl fühlte, denn so konnte er nicht auf andere Geräusche in der Umgebung achten. Leofwine entfernte sich immer weiter von ihm und war im diffusen Licht des Waldes nur noch schwer zu erkennen. Sein Mantel machte ihn fast unsichtbar, doch Louis starrte ohne zu blinzeln auf den Punkt, wo er ihn zuletzt gesehen hatte. Er war so sehr darauf konzentriert, dass er erst ziemlich spät die Geräusche vernahm, die aus der entgegengesetzten Richtung zu hören waren und sich näherten.

Der verlorene KönigWhere stories live. Discover now