Vorbei die gemeinsame Zeit?

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Als Louis am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war er allein in der Kammer. Die wärmenden Arme, die sich in der Nacht um ihn geschlungen hatten, waren verschwunden und unter der Tür zog ein kalter Luftzug hindurch, der ihn frösteln ließ. Müde rieb er sich die Augen, drehte sich auf den Bauch und zog sich sein Hemd vom Fußboden. Er wollte es anziehen, doch weil es die ganze Nacht auf dem kalten Boden gelegen hatte, war der Stoff unangenehm kühl und steif geworden. Er schob das Hemd schnell unter seine Decke, um es aufzuwärmen, bevor er hineinschlüpfte. Ungeduldig wartete er. Wo Harry wohl hingegangen war? Zuerst beschlich ihn kurz die Angst, er könnte wieder davongelaufen sein, doch irgendwie glaubte Louis nicht, dass sein Geliebter ihn auf einer Burg in einem fremden Königreich zurücklassen würde. Louis Blick schweifte zum Fenster und er sah, dass der Himmel dir frischen Farben eines spätsommerlichen Morgens hatten. Die Luft schien klar und am Horizont war der Himmel schon hell, während ab und zu einige Wolken in blassrosa am Himmel hingen. Er drehte sich wieder zurück auf den Rücken und starrte an die Decke der Kammer. Das Holz war dunkel und einige Spinnweben spannten sich zwischen den Balken. Jetzt, wo er wach war, bemerkte Louis erst, wie pieksig das Stroh in der Matratze eigentlich war und er fragte sich, wie er in der Nacht darauf hatte schlafen können. Er wollte nicht länger warten und zerrte sich das Hemd nun einfach über den Kopf. Erschaudernd, weil der Stoff immer noch recht kühl war, setzte er sich auf. Nachdem er er seine Stiefel ausgeschüttet und zwei Mäuse zu Tage gefördert hatte, die sich in der Nacht darin verkrochen hatten, schlüpfte er hinein und verließ dann das Kämmerchen.

Draußen auf dm Korridor war es still und zugig. Weder rechts, noch links, war Jemand zu sehen und Louis war sich auch nicht mehr sicher, in welche Richtung er gehen musste, um zum Thronsaal zu kommen, denn er vermutete, dass Harry sich dort aufhielt. Um den Weg zu finden, ging er nochmals zurück auf den Hof. Vielleicht fiel es ihm dann leichter, sich an den Weg zu erinnern. Auf dem Hof war es beinahe noch kälter, als in den Mauern und Louis erinnerte sich an ihre Kleidung, die sie in der Badestube zurückgelassen hatten. Weil ihm noch immer kalt war, beschloss Louis, seinen Umhang zu holen und stieg die Treppe in die Wachstube hinunter.

Die Tür ließ er offen, damit er etwas sehen konnte und betrat den halbdunklen Raum. Das Feuer im Kamin brannte wieder und er griff vorsichtig die Hemden und Hosen an, die noch immer über der vertikalen Stange vor dem Kamin hingen. Nur der Saum von Harrys Hemd war noch ein wenig feucht, doch Louis sammelte die Kleidung trotzdem ein, legte sie sich über den Arm und griff dann nach seinem Umhang, den er sich rasch über die Schultern warf. Augenblicklich war ihm wärmer.

Mit Harrys und seinen Sachen auf dem Arm verließ er schließlich die Badestube wieder. Zwei Dienstmägde, die schwere Eimer schleppten, kreuzten seinen Weg. Ein Pferdekarren lud schwere Fässer ab und aus der Burgschmiede war das Klingen von Hämmern, die auf Metall trafen, zu hören. Die Morgensonne war aufgegangen und schob ihre Strahlen langsam über die Burgmauer, sodass der Schatten, der den Hof noch in kühles, diffuses Licht tauchte, langsam kürzer wurde.

„Guten Morgen, mein Herr." erklang eine freundliche, melodische Stimme und Louis wandte sich rasch um. Die Milady, die gestern gegenüber von Harry gespeist hatte, kam eine schmale Treppe hinunter geschritten. Heute war sie in einem dunklen Blau gekleidet und das Kleid, das ihre schmale Figur verbarg, wallte hinter ihr her und verlieh ihr ein sehr graziöses Aussehen. Ihr helles Haar war schön frisiert, wurde jedoch zur Hälfte von einer flachen Haube bedeckt. Sofort verbeugte sich Louis vor ihr und drückte sich dabei die Klamotten, die er festhielt, an die Brust, damit sie nicht herunterfielen und auf dem schmutzigen Erdboden landeten, der vom Morgentau ein wenig matschig geworden war. „Guten Morgen Milady." - „Was führt Euch denn zu dieser frühen Stunde hinaus auf den Hof?" fragte sie und gab ihm ein Zeichen, sich wieder aufzurichten. „Ich habe die Umhänge von Harry und mir geholt." Bei der Erwähnung von Harrys Namen, hob sie interessiert die Brauen, schürzte die Lippen und sagte: „Könnt Ihr mir denn sagen, wo Harry ist?" - „Nein, leider nicht. Ich bin selbst gerade auf der Suche nach ihm." antwortete Louis zurückhaltend. Was die Milady wohl von ihm wollte? Louis musste sich eingestehen, dass es ihm nicht gefiel, wenn diese Frau Harrys Nähe suchte. „Ich habe gehört, er sei der verlorene König, den die Grafschaft Cheshire schon seit drei Dekaden vermisst. Ist das richtig?" erkundigte sie sich und schritt ihm voran zu einem Tor davon. Louis beeilte sich, mitzuhalten. Offenbar war die Dame scharf darauf, mehr über Harry herauszufinden, doch Louis beschloss, Harrys Geheimnis erst einmal für sich zu behalten und antwortete nur mit einem Schulterzucken. Erst, wenn Harry bereit war, sich als Prinz oder König bezeichnen zu lassen, würde er auf eine solche Frage mit der Wahrheit antworten. Lady Taylor schien seine Antwort ohnehin nicht zu interessieren, denn sie sagte: „Nun, wie dem auch sei, ich bin sicher, ich finde ihn im Thronsaal."

Der verlorene KönigWhere stories live. Discover now