Hoffnung schwindet

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„Harry?" Louis machte große Augen und blinzelte ungläubig zu dem Mann hoch, der vor ihm stand. „Louis? Wie...? Verflucht, ich hab dich nicht erkannt." stammelte Harry, schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund und kniete sich vor Louis ins Gras. Auch Louis konnte es nicht glauben. Hatte er gerade wirklich gegen Harry gekämpft? Vorsichtig rappelte er sich auf, immer noch schwer atmend und ließ den Lockenkopf nicht aus den Augen. „Ich hätte dich getötet....ich hab dich für einen Gehilfen des Königs gehalten." flüsterte Louis und erschrak über diese Erkenntnis. „Ich auch. Ich hätte dich auch umgebracht...zum Glück bist du hingefallen." - „Ja, zum Glück." Louis nickte und fiel Harry um den Hals, der die Arme um ihn schlang und ihn fest an sich drückte: „Wieso hast du denn nichts gesagt?" - „Wieso ich? Du hast doch auch nichts gesagt und dein Gesicht war von der Kapuze verborgen." verteidigte sich Louis und Harrys Gesichtsausdruck wurde wieder sanfter. „Du hast dich wirklich gut geschlagen. Wer hat dir das alles beigebracht? Ich bin wirklich beeindruckt, wenn man bedenkt, dass du beim letzten Mal nicht einmal einen Baum abschießen konntest." Harrys Mundwinkel zuckte leicht, offenbar amüsierte ihn der Gedanke an den schwachen Pfeil noch immer. Er ließ Louis los und setzte sich ebenfalls auf den Boden, dann streckte er die Hand aus und strich Louis über die Wange, fast so, als wäre er sich nicht sicher, ob er es sich nur einbildete, dass sie einander getroffen hatten. „Was machst du überhaupt nachts allein hier im Wald bis zur Eiche ist es noch weit und es streifen Jonathans Männer herum. Ich vermute, dass sie noch immer auf der Suche nach unserem Freund, dem Steuereintreiber, sind." fragte Harry leise und wandte den Blick dabei kein einziges Mal von Louis Gesicht ab. „Du weißt von Jonathans Männern? Bist du ihnen begegnet?" fragte Louis erschrocken und war froh, als Harry den Kopf schüttelte: „Nein, aber mir wurde von Bauern berichtet, dass vermehrt Reiter gesichtet wurden. Deswegen bin ich in den letzten Tagen nur noch in der Nacht gereist. Tagsüber habe ich auf Bäumen geschlafen. Ich wollte vermeiden, gesehen zu werden und habe mich im Dunklen durch die Wälder bewegt. Das war ganz schön unheimlich. Die Dunkelheit spielt den Augen oft seltsame Streiche." Louis musste unwillkürlich an die Irrlichter denken und legte seine Hand tröstend auf die Harrys, die an seiner Wange ruhte. „Genau wegen der Soldaten bin ich hier. Wir haben Wachposten, die in der Nacht die Umgebung der Eiche kontrollieren, damit die anderen in Sicherheit sind. Zayn, Draca, Leofwine und Nerian haben mir vieles gezeigt, damit ich besser werde und Gwydion hat auch Krähen eingesetzt, die alles aus der Luft überwachen. Zumindest glaube ich, dass sie das tun." erklärte er Harry. Der Lockenkopf nickte: „Ja, das können die Tiere wirklich gut. Sie haben ihm schon früher immer gute Dienste geleistet." Louis saß auf feuchtem Moos und langsam durchnässte das Wasser seine Hose, weshalb er sich von Harry losmachte und aufstand. „Ich bin wirklich froh, dass du wohlbehalten zurück bist und es dir gut geht." sagte er zu Harry und zog ihn ebenfalls auf die Beine, bevor er ihn fest umarmte. Harry presste seine Nase in Louis Haar und drückte ihn eng an sich, als wollte er ihn nicht mehr loslassen. „Ich hab dich so sehr vermisst." murmelte er ganz nah an Louis Ohr und der Klang seiner tiefen, rauen Stimme ließ Louis Haut prickeln. „Wieso hast du dich nicht verabschiedet?" fragte er plötzlich, ohne dabei die Umarmung zu unterbrechen, „Ich bin aufgewacht und du warst verschwunden." Obwohl er nicht anklagend hatte klingen wollen, war seine Enttäuschung über Harrys Tat deutlich zu hören. „Glaub mir, es ist mir keinesfalls leicht gefallen, aber ich wusste, dass ich nicht gehen können würde, hätte ich mich von dir verabschiedet. Du hättest mich sicherlich darum gebeten, mitkommen zu dürfen oder zu bleiben. Ich wusste, dass ich dir nichts würde abschlagen können, wenn du mich einmal gefragt hättest. Deswegen bin ich gegangen, ohne mich von dir zu verabschieden. Aber glaub mir Louis, dass ich jeden Abend an dich gedacht habe." Harry bückte sich und hob die Schwerter auf, die sie vorhin ins Gras fallengelassen hatten, dabei verzog er kurz schmerzhaft das Gesicht und wandte rasch den Blick ab, doch Louis hatte es trotzdem bemerkt. „Was hast du? Bist du verletzt?" besorgt sah Louis Harry an, der nickte, jedoch nicht sonderlich besorgt deswegen aussah. „Ich bin ein wenig ungeschickt gewesen und habe mich gestoßen und es tut noch ein bisschen weh, aber es ist nichts Schlimmes, also sorge dich bitte nicht." Er reichte Louis sein Schwert, der es zurück an den Gürtel steckte und nahm dann seinen Langbogen auf, der im Unterholz einige Schritte entfernt lag. Als sie beide ihre Waffen wieder eingesammelt hatten, standen sie wenige Meter voneinander entfernt da und sahen sich an. Plötzlich kam Louis ein Gedanke, der ihm das Herz schwer machte und er fragte leise: „Aber, du kommst doch mit zurück zu den anderen...oder bist du nur zufällig hier vorbeigekommen?" Vielleicht hatte Harry nur diesen Weg eingeschlagen, weil er kürzer war, doch hatte nicht vorgehabt, zu den Merry Men zurück zu kommen. Der Lockenkopf schüttelte den Kopf: „Ich komme mit. Mach dir keine Gedanken." - „Gut. Dann...darf ich dich küssen?" fragte Louis hastig und spürte, wie seine Ohren ganz warm wurden. Glücklicherweise war es dunkel und man konnte es im fahlen Mondschein nicht sehen. Langsam kam Harry durch das Unterholz zu Louis zurück, den Bogen noch in der Hand, blieb dann ganz nah vor ihm stehen und sah zu ihm hinunter, bevor er antwortete: „Natürlich darfst du mich küssen." Das schiefe Lächeln, das er dabei aufgesetzt hatte, ließ Louis Herz höher schlagen und er schlang die Arme um seinen Hals, um Harry näher an sich heran zu ziehen. Endlich teilten sie einen Kuss, den Louis sich so lange gewünscht hatte. Noch immer waren sie ganz vorsichtig miteinander und ihre Lippen streiften sich nur ganz sanft, doch es war wunderbar und vollkommen. Louis spürte Harrys große Hände auf seinem Rücken und schmiegte sich enger an ihn, während er den Kuss erwiderte. Ein Brennen schlich ihm über die Brust bis hinauf in seine Kehle, sein Herz raste und er konnte nicht verhindern, dass er leicht zitterte. In ihm überschlug sich alles und Louis wusste nicht genau, was er denken sollte. Es schien ihm, als fühlte er alles mit einem Mal und das machte ihn nervös.

Der verlorene KönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt