Täuschung

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„Los Leute, aufstehen! Wir müssen weiter!" Mit diesem Ruf wurden sie früh am nächsten Morgen geweckt. Louis schlug die Augen auf und sah, dass die Sonne noch nicht einmal richtig aufgegangen war. Im Halbdunkeln konnte er Harry erkennen, der ebenfalls blinzelnd die Augen aufschlug und gähnte. „Guten Morgen, Louis." krächzte er und streckte den Arm aus, um ihm kurz über die Wange zu streicheln. Ihre Äste wuchsen so dicht beieinander, dass sie einander ohne Probleme berühren konnten. Harrys Finger waren kalt und verursachten eine Gänsehaut bei Louis, doch es war ein schönes Gefühl. Hier oben waren sie unsichtbar für die anderen und sie wagten es sogar kurz, einen Kuss auszutauschen, bevor sie sich auf den Weg hinunter machten.

Steifbeinig und ausgekühlt kletterten Louis und Harry vom Baum. Es war kalt und ihr Atem bildete kleine Wölkchen in der Morgenluft. Überall aus den Büschen krochen die Soldaten des Prinzen, gähnten und streckten sich, lockerten die Gliedmaßen und rieben sich die Augen. Doch bereits nach kurzer Zeit waren alle bereit zum Aufbruch und sie machten sich wieder auf den Weg. Harry und Louis hielten sich eher im hinteren Teil der Gruppe auf und Harry wagte es sogar einmal, den Arm um Louis zu legen und ihn im Gehen an sich zu drücken. „Ich bin froh, dass du da bist..." raunte er ihm ins Ohr, streifte mit seinen Lippen kurz sein Ohr, dann ließ er ihn wieder los und stapfte gemächlich neben ihm her.

Sie pausierten erst, kurz bevor sie die Grenze zu Cheshire erreichten, wo ein Wild geschossen wurde und alle etwas zu Essen bekamen. Es war nicht viel, immerhin waren sie ziemlich viele Männer und das Reh nicht sonderlich groß gewesen. Aber besser als nichts war es allemal. „Ich gehe mal eben ins Gebüsch..." meinte Harry nach dem Essen, erhob sich von dem kleinen Stein, auf dem er gesessen hatte und verschwand ins Gebüsch. Louis sah ihm kurz nach und widmete sich dann den Beeren, die sie unterwegs gesammelt hatten. Die Soldaten um ihn her unterhielten sich flüsternd, sowieso verhielten sich alle recht leise. Schließlich wollte man keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. „Kann ich auch eine Beere haben?" fragte ein großer Kerl, der neben Louis saß plötzlich und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Natürlich." Louis hielt ihm die Hand hin, damit er sich etwas nehmen konnte.

Doch statt den Beeren, griff er Louis Handgelenk und drehte es ihm grob auf den Rücken. Erschrocken schrie Louis auf, als er von seinem Platz nach vorn auf den weichen Waldboden gedrückt wurde. Er bekam kleine Äste und Blätter ins Gesicht und spürte eine Hand auf seinem Hinterkopf, die ihn in die Erde drückten. Er schrie so laut es ihm möglich war nach Prinz Niall: der sollte seine Männer zurückpfeifen, doch nichts geschah, außer dass der Mann ihn grob auf die Beine zerrte und ihm ein anderer die Hände auf dem Rücken zusammenband. Was sollte das? Jetzt konnte Louis wieder etwas sehen und zu seinem Erstaunen saß der Prinz mit ausdrucksloser Miene ihm direkt gegenüber und sah dem Geschehen zu, als störte es ihn nicht. „Was soll das? Lasst mich los!" - „Oh nein, das werden wir garantiert nicht tun." sagte der blonde Prinz leise und mit einem Mal sah er gar nicht mehr so freundlich aus. Er erhob sich und ging mit langsamen Schritten auf Louis zu, bis er direkt vor ihm zum Stehen kam. Ein lautes Knacken und Rascheln kündigte Harry an, der Augenblicke später aus dem Gebüsch gestürzt kam."Louis!" rief er erschrocken aus und wollte nach seinem Bogen greifen, doch den hatte er vorhin abgelegt und er lag nun außer Reichweite. Harry hatte keine Waffe mit der er sich hätte verteidigen können und so dauerte es nicht lange, bis man ihn eingekreist hatte und auch er an den Haaren gepackt und gegen einen Baum gedrückt wurde. „Tut ihm nichts, lasst ihn am Leben." sagte Prinz Niall zu seinen Männern, damit sie Harry nicht verletzten und wandte sich dann wieder Louis zu: „Hast du wirklich gedacht, ich wäre auf eurer Seite? Hast du gedacht, ich würde einen Mann unterstützen, der keine Ahnung vom Regieren hat, wenn es doch so einfach ist, selbst an die Macht zu kommen und den Thronfolger aus dem Weg zu räumen?" Louis verstand kein Wort, doch war er gerade auch nicht in der Lage richtig zu denken, denn die Angst, die ihn erfüllte, schnürte ihm die Brust zu und alles woran er denken konnte war, dass er und Harry in eine Falle getappt waren. Prinz Niall hatte sie die ganze Zeit über getäuscht. Wie konnten sie das nicht bemerkt haben? „Ihr habt uns hintergangen!" rief Harry überflüssigerweise aus und der Prinz nickte nur. „Ja, das habt Ihr richtig erkannt, Eure Majestät. Sehr scharfsinnig. Lasst uns gehen." sagte er und seine Stimme war nun kaum mehr ein Flüstern. Ein Nicken zu den Soldaten hin reichte aus und sie zogen Louis mit sich. „Nein! Harry!!" schrie Louis und versuchte sich loszumachen, doch es war einfach zwecklos. Die Männer waren so viel stärker als er, dass er und zogen ihn mit sich, als wäre er eine Strohpuppe. Harry versuchte sich nun ebenfalls verzweifelt von den Soldaten zu lösen, die ihn festhielten und selbst auf die Entfernung konnte Louis sehen, dass er Tränen in den Augen hatte. Einer der Männer holte aus und schlug Harry so hart mit dem Kopf gegen den Baum vor dem er stand, dass er bewusstlos zusammenbrach und zwischen den Wurzeln des Baumes liegen blieb. Weil Louis von Harry fortgetragen wurde, versperrten ihm immer mehr Bäume und Sträucher die Sicht und irgendwann war sein Prinz nicht mehr zu sehen.

Schwer atmend versuchte Louis die Fesseln auf seinem Rücken zu lösen, doch außer, dass er dafür nur noch fester gepackt wurde, änderte sich nichts. Das Seil war rau und schabte ihm über die Haut, die schon ein wenig brannte, doch er nahm den Schmerz kaum wahr. Sie waren getäuscht worden. Prinz Niall war nie auf ihrer Seite gewesen. Das alles war nur ein Plan gewesen um...ja um was zu tun? Wenn Niall den Thronfolger hätte töten wollen, dann hätte er das jetzt gerade tun können. Wieso ließ er nur ihn verschleppen und Harry zurück? All das machte für Louis gar keinen Sinn und wenn er gerade nicht so unter Schock stünde, dann würde er sich darüber den Kopf zerbrechen. Tränen liefen ihm über die Wangen und er stolperte vor dem Mann her, der ihn an der Kapuze gepackt hielt und vor sich her schubste. Er spitzte die Ohren und versuchte herauszufinden, ob Harry ihnen vielleicht folgte, doch außer den dumpfen Schritten der Soldaten, war nichts zu hören. Louis stolperte über einige Wurzeln, weil die Tränen in den Augen ihm die Sicht nahmen und wurde kurzerhand von dem Mann über die Schulter geworfen. Es war unbequem und da er kopfüber hing, wurde ihm ziemlich schnell schummrig, doch das störte ihn nicht. Alles woran er denken konnte war, dass die Männer Harry niedergeschlagen und liegengelassen hatten.

Und vielleicht würden sie einander ja nie wieder sehen.

Der verlorene KönigWhere stories live. Discover now