Duell mit Bogen und Schwert

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Louis gewöhnte sich mit jedem Tag mehr an das Leben mit den Vogelfreien. Er fand sich im Wald besser zurecht, obwohl es manchmal so schien, als würden die Bäume den Platz wechseln, durchstreifte zusammen mit Nerian die Gegend und übte sich im Schießen und Kämpfen sooft es möglich war.

Die anderen Jungs gaben ihm Ratschläge und bald wurden seine Handgriffe sicherer und er bekam mehr und mehr Routine, sodass er bald nicht mehr wie ein unbeholfener kleiner Junge aussah, der zum ersten Mal einen Bogen führte.

Liam und Ed, die aufgrund ihres gemeinsamen Schicksals Leidensgenossen waren und sich sehr gut miteinander verstanden, stellten für Louis einen Unterarmschutz aus Leder her. Dafür verarbeiteten sie die Haut eines Hirsches, den Draca einige Tage zuvor erlegt hatte. Fortan trug Louis den Schutz ständig. Zum einen, weil er wirklich viel Bogenschießen übte und es sich kaum lohnte, ihn abzulegen, zum anderen trugen alle Merry Men einen solchen Schutz und Louis fühlte sich zugehöriger, wenn er seinen eigenen auch trug. Dazu kam noch, dass ihm das Leder gut gefiel, denn Liam und Ed hatten es irgendwie geschafft, in die dunkle Hirschhaut ein schönes Muster zu drücken. Aus Knochen hatten sie die Verschlüsse geschnitzt und sich wirklich viel Mühe gegeben. Was Harry wohl sagen würde, wenn er das neue „Kleidungsstück" zum ersten Mal sah?

Der Lockenkopf war nun schon lange fort. Da Louis nicht zählen konnte, war es ihm natürlich nicht möglich die Tage seiner Abwesenheit zu benennen, doch wenn er für jede Nacht, die er ohne Harry verbracht hatte einen Finger seiner Hand ausstreckte, hatte er am Ende alle Finger beider Hände abgespreizt. Das war wirklich eine lange Zeit und er vermisste Harry.

Wenn sie abends am Feuer saßen und Louis seine Finger zählte, während um ihn herum Bogen repariert und Pfeile geschnitzt wurden, nahm Liam seine Hände, schloss sie wieder und schüttelte ernst den Kopf, als wollte er sage: „Er kommt nicht schneller, wenn du ständig die Tage zählst." Dabei seufzte Liam immer und Louis wusste genau, dass er bemerkt hatte wie sehr Harry ihm fehlte. Obwohl es kein schöner Gedanke war, musste Louis zugeben, dass er zum ersten Mal froh darüber war, dass Liam sich nicht mitteilen konnte, denn so blieb Louis' Innerstes ein Geheimnis, das er hoffentlich nur mit Liam teilte.

Und vermutlich mit Ed, denn alle Merry Men hatten den Eindruck, dass Ed und Liam nach und nach ihre ganz eigene Sprache entwickelten, wodurch sie sich mit den Händen verständigten und seltsame Laute von sich gaben. Die Wunden an Liams Hals heilten gut und seit einigen Nächten schlief er gemeinsam mit Ed auf dessen Plattform. Nachts hielt er den rothaarigen Jungen immer im Arm und es schien nicht so, als würde sich Liam bald eine eigene Plattform bauen.

Noch immer wurde der Wald von Jonathans Männern durchsucht und obwohl Gwydion zusätzlich zu den Bäumen auch noch die Schlingpflanzen am Boden zu ihrem Schutz einsetzte, hatte Zayn sie alle in Wachdienste eingeteilt. Jeden Abend hatten drei von ihnen Wache und mussten den Wald um die Eiche großräumig ablaufen. Sie hatten immer ihre Waffen dabei und patrouillierten in der Abenddämmerung zwischen den Bäumen umher.

Mittlerweile waren auch Louis Bogenschusskünste so gut entwickelt, dass Zayn es nicht mehr für nötig hielt, ihm eine Begleitperson zuzuteilen. Obwohl Louis sich über Gesellschaft gefreut hätte, machte ihn das Vertrauen, das Zayn ihm entgegenbrachte sehr glücklich.

Also machte er sich an einem Abend, als die Sonne gerade untergegangen war, gemeinsam mit Buck und Cuthbert auf den Weg. Sie hatten alle ihre Bögen dabei und sich die Umhänge übergezogen, denn Nachts wurde es im Wald kühl obwohl sie sich die ganze Zeit bewegten. Sie gingen gemeinsam bis zu einem bestimmten Punkt, wo sich ihre Wege dann trennten. „Passt auf euch auf." sagte Cuthbert zu Louis und Buck, die noch einige Schritte gemeinsam gehen würden, bevor auch sie sich trennen würden.

Der Wald war langsam in nächtlicher Stimmung und ab und an war eine Eule zu hören, die mit raschelnden Flügeln über Louis Kopf hinwegglitt, auf der Jagd nach Mäusen und Maulwürfen. Louis zog sich die Kapuze auf, vermied es jedoch sie sich zu tief in die Stirn zu ziehen, um sein Blickfeld nicht allzu sehr einzuschränken. Er hatte den Bogen samt Pfeil ständig in der Hand, um jeder Zeit bereit zu sein, während er versuchte mit weit geöffneten Augen etwas zu sehen.

Der verlorene KönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt