In den königlichen Gemächern

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Den ganzen Tag blieb Louis an der Luke sitzen und blickte hinunter auf das Tor und hoffte, Harry würde wieder hindurch geritten kommen, doch der Tag verstrich, ohne dass dies geschah. Er wäre gerne hinunter in den Hof gegangen, denn hier Oben war es einsam, doch wenn er sich zeigte, würden alle wissen, dass Harry das Schloss umsonst verlassen hatte und vielleicht dachten sie dann, Louis hätte ihn absichtlich an der Nase herumgeführt. Was ja nicht der Fall gewesen war: Louis hatte lediglich einen Streifzug durch die Burg gemacht und Harry war aus irgendeinem Grund davon überzeugt gewesen, dass er ebendiese verlassen hatte. Trotzdem wollte er den Anderen erst einmal nicht begegnen und so wickelte sich Louis noch ein wenig fester in seinen Umhang ein und blickte weiter auf den Wald.

Die untergehende Sonne färbte den Himmel rosa und orange und aus den Bäumen unterhalb der Burg tauchten die ersten Vögel auf, die in der Nacht auf die Jagd gingen. Das Treiben auf dem Burghof ließ nach und weil es stetig dunkler wurde, konnte Louis irgendwann gar nichts mehr erkennen. So saß er also in dem Versteck, das er sich selbst ausgesucht hatte, starrte in die Dunkelheit und fand nichts mehr, womit er sich hätte ablenken können, sodass sich die Gedanken in seinem Kopf verselbstständigten. Wenn Harry im Wald etwas zustoßen sollte, dann wäre es seine Schuld. Allerdings war die einzige Gefahr für ihn bisher Jonathan gewesen und der war tot. Theoretisch gab es also nichts mehr in der ganzen Grafschaft, das ihm Böses wollte. Und Harry hatte ja auch Cuthbert dabei, der ein guter Kämpfer war. Louis müsste sich also keine Sorgen machen.

Doch lange konnte er sich diese Ruhe nicht einreden, denn schon bald malte er sich aus, dass Harry vom Pferd gefallen war oder er Cuthbert verloren haben könnte. Nicht umsonst trug dieser Wald so viele unheimliche Namen. Louis raufte sich die Haare: sein Kopf wollte einfach keine Ruhe geben und das Schuldgefühl, weil er Harry im Glauben gelassen hatte, er wäre gegangen, nagte weiter an ihm. Eines stand fest: heute Nacht würde er sicherlich nicht schlafen können, sollte Harry nicht bald zurückkehren.

Nachdem die Sonne mit dem Mond die Plätze getauscht hatte und der Wald nur noch als ein Meer aus schwarzen, wogenden Baumwipfeln zu erkennen war, zog sich Louis vom Fenster zurück und legte sich auf einen der Strohsäcke. Das Stroh darin raschelte in der Stille laut und als er sich ein wenig bequemer hinlegte, scheuchte er eine Maus auf, die offenbar in dem Sack gelebt hatte, die piepsend über den Holzboden davon trippelte. Ihm knurrte der Magen. Den ganzen Tag über war er so in Gedanken beschäftigt gewesen, dass er das gar nicht bemerkt hatte. Die einzige Mahlzeit, die er heute zu sich genommen hatte, war die Suppe am Morgen gewesen, die Louise ihm gegeben hatte. Ob er es wagen sollte und in der Dunkelheit nochmals hinunter in die Küche schleichen sollte? Vielleicht hing ja noch ein voller Topf über dem Feuer im Kamin. Er hatte keine Ahnung, wie lange die Frauen in der Küche arbeiteten und so stand Louis wieder auf, kroch aus seinem Verschlag und sah nochmals durch die Luke hinunter auf den Hof.

Die wenigen Fackeln, die entzündet worden waren, spendeten kaum Licht und es war unmöglich, festzustellen, ob sich noch Jemand im Innenhof aufhielt. Aus der Küche war kein flackerndes Licht mehr zu sehen und so beschloss Louis, die Dunkelheit zu nutzen und in deren Schutz in die Küche zu schleichen. Gerade hatte er diesen Entschluss gefasst, als Hufgetrappel bis zu ihm hinauf klang und er rasch wieder hinunter sah. Mehrere Männer kamen die Treppe hinunter, die zur Halle des Thronsaals führte. Sie hatten das Tor offengelassen und das Licht fiel als langer, goldener Streifen auf den Hof, was auch Louis zugute kam.

Zwei Pferde kamen auf den Hof gelaufen. Louis erkannte Cuthbert und zu seiner Erleichterung auch Harry. Die Beiden wurden von Flint, Leofwine, Veland und Nerian empfangen. Sie sahen Harry an, doch der schüttelte nur den Kopf, nahm das Pferd am Zügel und führte es an dem Burschen vorbei, der es ihm hatte abnehmen wollen, in den Stall. Die Merry Men wandten sich um und gingen wieder in den Thronsaal aus dem sie gekommen waren. In der Tür kam ihnen ein Mann in langem Gewand entgegen, den Louis sofort als Gwydion erkannte. Er schien sie etwas zu fragen und eilte dann die Treppe hinunter auf den Stall zu. Harry kam dem Druiden entgegen und ließ sich von ihm in die Arme schließen. Louis brach es das Herz, denn selbst auf diese Entfernung und ohne, dass er Harrys Gesicht sehen konnte, wusste er, dass sein Geliebter verzweifelt war. Noch nie hatte er Gwydion eine solch väterliche Geste vollbringen sehen. Harry schien es also sehr sehr nahe zu gehen. Der Druide legte ihm die Hände auf die bebenden Schultern und sah ihm ins Gesicht, dann hob er den Kopf und stieß einen Pfiff aus, der so laut war, dass Louis zusammenzuckte. Es klang, wie der Schrei eines Raubvogels und in der Nacht, die über der Burg lag, klang es besonders unheimlich.

Der verlorene KönigWhere stories live. Discover now