Schraubenschlüssel

68 10 3
                                    

Verzweiflung war mir ins Gesicht geschrieben, als ich zwei Tage später nach einem bestimmten Schraubendreher suchte. In irgendeiner dieser Kisten müsste er doch liegen.  Gerade war ich dabei die letzten Teile des PC wieder zusammenzusetzten und brauchte dafür so einen komischen achteckigen Schrauber, der bei allem immer dabei war. Dumm nur, dass ich  die teile immer weg warf und so nur ein Exemplar dabei hatte. Mittlerweile stand nicht nur das Sofa an im Wohnzimmer, welches bis auf den Fernseher wieder aufgebaut war, nein auch alles andere, was ich mit genommen hatte, stand fertig im richten Raum. Es war sehr anstrengend gewesen und meine Arme und Beine zierten viele bunte Flecken vom Arbeiten, aber ich hatte vor Augen, was ich erreicht hatte und das war ein sehr schönes Gefühl. In manchen Momenten hatte ich Stegi dafür verflucht, dass er nicht da war und mit anpacken konnte -er betonte öfter, dass er es gemacht hätte, würde es sich zeigen-, aber seine mentale Hilfe war schon die größte Unterstützung, welche ich bekam. Dumm nur, dass mir das auch keinen Schraubenzieher brachte. "Geht doch zu deinen Nachbarn fragen. Vielleicht haben die einen.", schlug Stegi lachend vor. Ja haha sehr lustig, dass ich gegen die Deckenlampe schieß beim Versuch diese zu drehen. Einfach nicht hinterfragen, was ich hier mache, das wusste ich selbst nicht mal. 
Stegis Idee war nicht schlecht. Ich brauchte dieses dumme Teil, um wieder streamen zu können und sollte mich sowieso bei meinen Nachbarn vorstellen. Ich hoffe das machte man nicht nur im Dorf und ich machte mich damit nicht komplett lächerlich. "Kommst du mit?", fragte ich die Person auf der anderen Seite des Handy und bekam als Antwort ein schalendes Gelächter. Ein paar Sekunden dauerte es, bis ich checkte, dass Stegi nicht neben mir stand. Ok, ich kam mit dieser Distanz des Internets super klar (nicht). Nach dieses Sekunden stick ich ebenfalls in seinen Lachanfall ein, der nicht zu enden schien. "Irgendwann komm ich nach Berlin und besuch dich.", versprach er mir erneut, als ich schon auflegen wollte. Drei Stunden hatten wir bestimmt schon wieder telefoniert und wir Beide hatten noch zu tun. 

Auf einer Etage mit mir waren zwei Wohnungen. Eine führte zu der Wohnung einer alten Dame, dass hatte mir der Vermieter bereits erzählt, aber bei der anderen hatte ich es entweder nicht mitbekommen, oder er hatte es einfach nicht erwähnt. Ich könnte einfach den sicher erscheinenden Weg gehen und an der Tür der Dame klopfen, aber ich konnte auch einmal über meinen eigenen Schatten springen und bei der unbekannten Tür klingeln. Da meine Laune gerade überraschend gut war -woran Stegi sicher nicht unbeteiligte war- trat ich an die meiner Eingangstür gleichen Tür und getätigte den rundlichen Knopf, der innen ein klingelndes Geräusch verursachte. In einer schnellen Bewegung wischte ich die leicht dreckigen Hände an meiner Hose ab. Ich hatte die schäbigste Kleidung an, die ich besah. Ein dunkel-blauer Hoody, der voller gelber Flecken war, da mir mal Bleicher darauf getropft war und eine vollkommen abgewetzte graue Jeans, die auch nicht ganz ohne fremde Farbe geblieben war. Ich hatte in die Meisten Räume farblich zwar so gelassen, aber für Wohnzimmer und Schlafzimmer hate es dann doch einen neues anstrich gegeben. Zum glück hatte das aber recht gut funktioniert. So stand ich also vor der Tür und dachte mir nur: "Vielleicht hätte ich doch einfach nach einem Baumarkt googlen sollen." , doch es war zu spät, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür und ein junger Mann steckte den Kopf heraus. Die dunkelbraunen Haare des jungen Mannes glänzten magisch im Licht der Sonne und die ebenfalls braunen Augen wanderten musternd über mich. Kein Wunder, man wollte ja wissen, welche komischen Leute bei einem klingen. Er sah wirklich gut aus. Musste ich sagen und streckte einfach mal die Hand aus. "Hi, ich bin Leonie. Gerade vor zwei Tagen in die Wohnung gegenüber eingezogen. Ich glaube wir sind jetzt sowas wie Nachbarn" Ich zeigte auf die Tür, hinter der sich meine Wohnung befand. Er ließ es zum Glück nicht peinlich werden und ergriff meine Hand sogleich. Der Händedruck war fest, aber nicht unangenehm. "Bastian, sehr angenehm dich wieder zu sehen. Ich glaube wir sind und schonmal ein paar Meter von hier begegnet." Das er mich einfach duzte merkte ich gannicht erst. Kurz brauchte es, bis ich seine schelmische Antwort verstand. Er war der Typ, in den ich bei der ersten Besichtigung gelaufen war. Meine Ohren färbten sich leicht rötlich und ich strich nervös eine Strähne meiner Haare zurück. "Ehm ja, tut mich nach mal leid. Ich war angespannt wegen der Wohnung und so." Locker schmunzelte Bastian und fragte mich dann, ob ich auf einen Kaffee herein kommen wollte. Kurz überlegte ich -war er doch ein Fremder- aber stimmte dann zu. Vielleicht war ich naiv, aber die Person vor mir erschien mir nett und ich wollte nicht unhöflich erscheinen. Musste der PC eben noch etwas auf den Schraubendreher warten. 

Die Teile der Wohnung, durch welche Bastian mich führte- waren nahezu Baugleich mit meiner, nur halt spiegelverkehrt. Modern hergerichtet, waren die Räume in einem Still eingerichtete, welcher mir selbst sehr zusagte. Gemeinsam setze ich mich mit meinem Nachbarn an einen hohen Esstisch und bekam sogleich Kekse und ein Getränk angeboten. Überrascht von der Gastfreundschaft, welche ich so nicht kannte, bat ich um ein Wasser und begann dann Small talk über Dinge, wie Berlin, oder wie lange er schon hier wohnte. Er selbst machte sich einen Kaffee und setzte sich dann mit einigem Abstand mir gegenüber. Ich bekam von Basti ähnliche Fragen und so unterhielten wir uns gut über das erste Mal umziehen, meine alte Heimat und über Ort, an denen wir schon waren. Er zeigte dabei ein weitreichendes Geografisches Wissen, was ich sehr bewunderte. Keine Kenntnisse waren da leider eher auf besondere Städte bezogen, zu denen ich dann viel wusste, aber wirklich etwas über die breite Masse kannte ich nicht. Aber es war angenehm, auch wenn er in diesem Bereich ein bisschen Klugscheißerte. Es war eher lustig die Fakten zu hören. Sein Alter viel dann eher zufällig. 25. Mein Gesprächspartner war etwas über 5 Jahre älter als ich und doch stellte es kein Hindernis da. Bei manchen in dem Alter beschwerten sie sich über meine Jungendsprache, den Englischanteil in meiner Sprache, oder sahen mich einfach noch als Kind, aber Basti nahm mich erst unterhielt sich mit mir auf einer Augenhöhe. 

Als ich dann um 17 Uhr aus der Wohnung begleitet wurde -er hatte noch zutun und auch ich sollte langsam weiter machen- fiel mir dann doch mal wieder der Grund ein, warum ich überhaupt geklingelt hatte, dies hatte ich nämlich komplett verdrängt. "Ehm hättest du vielleicht solch einen achteckigen Schraubendreher?", fragte ich und sogleich schaute er amüsiert, aber auch unverständlich auf mich herab. Ein hochgebildetes "Was?" war seine Antwort und ich jag kurz mir mir, ob ich sagen, sollte, dass ich es für den PC brauchte. Auch wenn er nett und so weiter schien wollte ich nicht verraten, was ich beruflich machte. Viel zu groß war die Angst mich irgendwie zu leaken, aber vieles erklären hatte keinen Sinn, und so folgte er mich -nach einigen verzweifelten Versuchen meiner Seits das Teil zu beschreiben- mit einem Werkzeugkasten unterm Arm in meine Wohnung.  Ich entsprach in diesem Moment so dem Disney Klischee der hilflosen Prinzessin, welche auf die Hilfe ihres Prinzens angewiesen war, aber ich schätzte Bastian so ein, dass er dies nicht gleich in mir sah, nur weil ich einen Schraubenschlüssel nicht beschreiben konnte.

Zum Glück war meine Wohnung nicht mehr das Schlachtfeld der letzten Tage und so musste es mir nicht unangenehm zu meinen Nachbarn hier zu haben. Seien Augen flogen kurz über die spärliche Einrichtung, bevor er diese lobte. Als wir im Gamingzimmer standen hinterfragte er die Existens eines solchen Raumes gar nicht erst, sondern kniete sich neben den PC und baute mit mir zusammen diesen fertig, wobei man merkte, dass er sowas nicht das erste mal machte. "Als was arbeitest du eigentlich.", fragte ich ihn und versuchte mir meine Neugierde nicht als zu sehr anmerken zu lassen. Kurz entstand eine Stille. "Ich arbeite in der Medienbranche." Genauer ging er darauf nicht ein. Etwas mit Medien also. Wenig aussagekräftig. Viele Berufe zählten heute in diese Spalte. Meiner ja auch, aber es erklärte immerhin seine Technikkenntnisse. Solche Kenntnisse brauchte man halt, wenn man mit Medien arbeitete. Vielleicht machte er ja etwas mit Geografie, dass würde zumindest sein Wissen in diesem Bereich damit verbinden. Mutmaßen half mir nicht und so bedankte ich mich noch ein tauendesmal für seine Hilfe und verabschiedete ihn dann endgültig. Mit der Hoffnung, dass er wirklich nicht wusste, was ich beruflich machte -wonach er sich nicht erkundigt hatte- schlug meine Haustür zu. Schnell machte ich mir noch ein kleines Abendessen aus einer Banane und einem Tomaten-Fischkäse-Brot, dann streamte ich das erste mal nach fünf Tagen und das aller erste mal aus meiner Wohnung. Lange machte ich nicht -ich war ja eh eher live gegangen u die Technik zu testen- aber die knappe Stunde reichte um mir zu zeigen, wie müde ich war. Umziehen war anstrengend. So ging ein weiterer Tag in Berlin für mich zu ende und ich konnte behaupten einmal nicht nur den Weg des geringsten Widerstandes genommen zu haben und damit auch noch Erfolg gehabt zu haben. Vielleicht ein Weg, denn ich öfter einschlagen sollte. 

Gamergirl: von Sims über Fall Guys zu MinecraftWhere stories live. Discover now