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Die Wochen vergingen schnell und ich traf mich regelmäßig mit Emma oder Luke. Andere Freunde habe ich bisher nicht gefunden. Ich kann es aber auch niemandem verübeln. Wer möchte schon etwas mit einem depressiven Mädchen zu tun haben? Seit ich in Sydney bin ist es zwar besser, aber ich merke es schon noch. Klar, eine Depression geht nicht von einem auf den anderen Tag weg. Das dauert eine ganze Zeit. Viel ist in den letzten Wochen nicht passiert...Mama ist ständig weg, arbeiten, wie sie sagt. Warum sie abends um neun noch arbeiten muss weiß ich nicht. Sie sagt sie hätte Meetings...na sicher, jeden Mittwoch, Freitag und Sonntag. Wer hat sonntags Meetings? Wenn meine Mutter eines nicht kann, ist das lügen. Seit wir hier in Sydney sind hat sie sich sehr verändert. Früher war sie immer für mich da, auch wenn unser Verhältnis noch nie das beste war. Jetzt ist sie ständig ''arbeiten'' und wir reden kaum ein Wort. Ich glaube sie merkt gar nicht, wie sehr ich darunter leide. Für sie scheine ich wieder glücklich, weil ich Emma und Luke habe. Ja ich bin glücklicher aber nicht glücklich...Ich brauche die regelmäßigen Gespräche mit meiner Mama über Papa. Aber wenn ich sie darauf anspreche, sagt sie, sie wäre im Stress und müsste arbeiten. Traurig schließe ich die Haustür auf und trete in den großen hellen Eingangsbereich unseres Hauses. Natürlich ist Mama nicht da. Was auch sonst? Ich lasse meine Sachen fallen und gehe in die Küche, um mir Mittagessen zu machen. Erst als eine Träne in meinen Salat tropft, merke ich, dass ich weine. Mit dem Handrücken wische ich über meine Augen und schniefe. Ich nehme meine Schüssel mit in mein Zimmer und setze mich auf mein Sofa. Langsam esse ich den Salat und denke an Brighton und das Meer. Ich vermisse es unglaublich. Es war der einzige Ort, an dem ich glücklich war, der einzige Ort, an dem ich mein Leben vergessen und einfach im Moment leben konnte. Hier in Sydney war ich noch nicht einmal am Strand gewesen. Ich will aber auch nicht, weil es nicht das gleiche ist, wie in England.

Ich höre, wie die Tür aufgeschlossen wird und bin überrascht, dass meine Mutter schon zu Hause ist. Es ist erst vier Uhr. Normalerweise ist sie nie vor halb sechs hier. ''Annie! Kannst du mal runterkommen?''ruft sie. ''Komme.'' Ich laufe die Treppen hinunter und erschrecke, als ich ins Wohnzimmer komme. Auf unserem Sofa sitzt ein Mann, ungefähr so alt wie meine Mutter und lächelt mich an. Er trägt einen Anzug und seine Haare sind glatt nach hinten gegelt. Ekliger Bürofuzzi. ''Ähm...das ist Mark. Er ist ein Kollege von mir und ähm...ich hatte keine Meetings. Wir haben uns immer getroffen. Er ist...dein neuer Dad.'' Ich starre meine Mutter mit offenem Mund an. Dann drehe ich mich auf dem Absatz um, laufe aus der Tür und die Straße hinunter zu Lukes Laden. Meine Mutter hat nicht nur einen ekelhaften Bürotypen angeschleppt, nein, sie hat gesagt ''Er ist dein neuer Dad...'' Wie kann sie nur? Man hat nur einen Vater in seinem Leben. Ich hasse sie! Tränen laufen mir über mein Gesicht, ich schluchze und mein ganzer Körper zittert.

Ich drücke die Ladentür auf und laufe nach hinten. ''Annie!'' Luke kommt auf mich zu und schließt mich in seine Arme. Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt habe, fragt er: ''Möchtest du darüber reden?'' Ich nicke und beginne mit brüchiger Stimme zu erzählen was gerade passiert war. Geschockt sieht Luke mich an und umarmt mich erneut. Dafür bin ich ihm so dankbar. Er weiß genau, was ich brauche, weiß genau, dass Worte nicht helfen. Traurig sehe ich ihn an. ''Übrigens die CD die du mir vor ein paar Wochen gegeben hast, von dieser unbekannten Band. Ich habe endlich geschafft, sie zu hören. Sie gefällt mir unglaublich gut! Hast du noch etwas von denen?'' wechsele ich das Thema. ''Nein leider nicht, aber ich habe etwas anderes für dich. Hast du morgen Zeit?'' ''Ähm ja klar. Ich habe nie was vor. Ich habe keine Freunde außer Emma und dir...und Emma kann immer nur montags und am Wochenende...'' Luke nimmt mich erneut in den Arm und flüstert in mein Ohr: ''Dann komm morgen um vier hier her. Ich möchte dir etwas zeigen.'' Dann küsst er meine Haare und löst sich von mir. ''Okay.'' Ich lächele ''Jetzt bin ich gespannt.'' Dann umarme ich ihn ein letztes Mal und verabschiede mich von ihm.

depressed. l.h. (Teil 1)Where stories live. Discover now