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Ich wache auf, weil mein Zimmer hell erleuchtet ist. Vorsichtig hebe ich meinen Kopf und sehe mich um: Ich liege auf meinem Sofa und trage noch die Klamotten von gestern. Scheinbar bin ich gestern Abend eingeschlafen, nachdem ich mit Luke telefoniert habe. Ich gucke auf die Uhr: kurz vor acht. Dann habe ich ja noch genug Zeit, duschen zu gehen.

Um zehn vor elf schleiche ich aus dem Haus, denn Mama und Mark schlafen noch. Kein Wunder, so wie es sich angehört hat, hatten sie ganz schön Spaß gestern Abend. Schnell blende ich den Gedanken aus und mache mich auf den Weg zu Luke.

Mit einem breiten Grinsen steht er hinter der Tür und öffnet sie, als ich davor stehe. Er schließt mich in seine Arme und ich atme seinen Geruch ein. Er riecht nach Zitrone und Aftershave - einfach unglaublich gut. ''Wie geht's dir?'' fragt er. ''Geht so...Mark wohnt jetzt schon bei uns..'' ''Was? Ich dachte erst in zwei Wochen?!'' ''Ja, die Pläne haben sich geändert. Hat Mama so gesagt.'' ''Na super...wenn du möchtest kannst du immer zu mir nach Hause kommen, oder in den Laden.'' tröstet Luke mich. ''Danke.'' ''So und jetzt zeige ich dir etwas!'' Sofort muss ich lächeln. ''Komm mit, Annie!'' sagt er und nimmt meine Hand. Er hält mir die Autotür auf und setzt sich dann auf den Fahrersitz. Als er das Auto startet, dröhnt All Time Low aus den Lautsprechern. Ich grinse ihn an.

Leise singe ich mit und bemerke, wie Luke mich ansieht. Schüchtern frage ich: ''Was ist?'' ''Du hast eine wunderschöne Stimme. Hast du schon einmal überlegt so richtig zu singen?'' Sofort senke ich meinen Blick. Luke weiß zwar, dass Papa bei einem Unfall gestorben ist, aber nicht, wie die Situation war. ''Ich habe mal gesungen.'' presse ich hervor. ''Ist alles okay?'' fragt Luke besorgt. Ich schüttele meinen Kopf, ohne ihn zu heben. Tränen fallen in meinen Schoß. Luke fährt an den Straßenrand und läuft ums Auto. Er öffnet die Tür und nimmt mich in den Arm. Ich lasse mich an seine Brust fallen und lasse die Tränen laufen. ''Es tut mir so leid Annie...'' entschuldigt sich Luke. ''Ist...o-okay...k-konntest...du...ja..nicht wissen..'' schluchze ich. Eine Panikattacke bahnt sich in meinem Körper an und ich glaube, dass Luke das auch bemerkt, denn er schnallt mich ab und hebt mich aus dem Auto. Er hält mich einfach nur in seinem Arm und streichelt über meinen Rücken. Langsam versiegen die Tränen und ich beruhige mich wieder. ''Es tut mir leid, Annie.'' wiederholt Luke. ''Ist okay. Aber ich denke ich schulde dir eine Erklärung...'' ''Du schuldest mir gar nichts. Aber wenn du darüber reden möchtest, kannst du mir alles erzählen.'' ''Ok.'' ich schlucke und fahre dann fort: ''Ich habe dir ja von dem Unfall erzählt, wo Papa gestorben ist...Es war auf dem Rückweg von einem Konzert, wo ich gesungen habe...Meine beste Freundin und ich waren für ein Konzert der Voract für eine unbekannte Londoner Band. Aber sie war an dem Tag krank. Deshalb musste ich alleine singen und Papa hat mich gefahren und auf dem Rückweg ist er dann gegen den Baum gefahren. Das habe ich dir ja schon erzählt...seit dem Unfall singe ich nicht mehr. Ich weiß, dass es nicht meine Schuld ist, dass Papa verunglückt ist, aber es fühlt sich irgendwie so an...'' Luke sieht mich mitfühlend an und küsst meine Stirn. Ich rutsche enger an ihn und umarme ihn ganz fest. Es ist mir egal, dass wir auf dem Seitenstreifen einer Straße sitzen. Ich brauche das gerade. Er erwidert meine Umarmung und legt sein Kinn auf meinem Kopf ab. So sitzen wir mehrere Minuten da, bis Luke leise sagt: ''Lass uns weiterfahren.'' Ich nicke. Luke steht auf und hilft auch mir hoch. Bevor wir ins Auto steigen umarmt er mich nochmal. Dann fahren wir weiter. Die Musik läuft zwar weiter, aber leise und keiner von uns singt mit. Ich beobachte Luke, der konzentriert auf die Straße schaut. Er hat die Augenbrauen zusammen gezogen und auch sein Mund ist eine gerade Linie. ''Woran denkst du?'' frage ich ihn. Er zögert kurz und antwortet dann: ''An dich...daran, was du alles schon durchmachen musstest...'' Das habe ich nicht erwartet. ''Oh'' antworte ich deshalb und sehe, dass Lukes Lippen sich zu einem Lächeln formen. Auch ich muss lächeln. Es ist so unglaublich, wie eine Person mich so sehr verändern kann. Wenn ich bei Luke bin, geht es mir besser. Ich kann ich sein, muss mich nicht verstellen und er ist trotzdem da für mich...egal, wie schlecht ich drauf bin. ''Danke Luke.'' murmele ich. ''Wofür?'' fragt er überrascht und schaut kurz zu mir. ''Dafür, dass du immer da bist, egal wie schlecht gelaunt ich bin.'' Er antwortet nicht. Stattdessen werden seine Augen feucht. ''Luke?'' ''Es tut mir leid Annie. Ich wollte nicht weinen. Es ist nur so heftig, wie anders du dich selbst siehst, als ich dich sehe...für mich bist du ein wunderhübsches Mädchen, dass ziemlich viel Scheiße erlebt hat, aber trotzdem sie selbst ist und das Lachen nicht verlernt hat. Du denkst von dir aber, dass du nur schlecht drauf bist. Du siehst nur das Negative Annie...Aber immer, wenn ich dich sehe, lachst du mindestens einmal. Natürlich weinst du auch viel, aber du hast allen Grund dafür. Aber das verändert dich nicht - für mich jedenfalls nicht.'' Jetzt bin ich die, die feuchte Augen hat. ''Luke...'' hauche ich, weil mir nichts anderes einfällt. Er sieht mich an, mit leicht geröteten Augen, und lacht. Auch ich muss lachen. Es muss seltsam aussehen, wie ein Junge und ein Mädchen verheult in einem Auto auf einem Parkplatz sitzen und lachen. ''Wir sind übrigens da.'' sagt Luke. ''Okay.'' sage ich, bewege mich aber nicht. Ich sehe weiterhin in die hellblauen Augen meines besten Freundes. Ja, er ist mein bester Freund. Ich habe lange überlegt, ob das überhaupt sein kann, aber als Luke gesagt hat, dass ich seine beste Freundin bin, war es klar. Luke und ich sind beste Freunde.

Auch er starrt mich weiterhin an. Nach gefühlten Ewigkeiten wendet er seinen Blick ab und steigt aus dem Auto. Auch ich schnalle mich ab und öffne die Autotür. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind, was auch kein Wunder ist, denn ich war so gut wie nie außerhalb des kleinen Vorortes, in dem ich wohne. Naja, zur Schule fahre ich jeden Tag, aber sonst? ''Kommst du?'' reißt Luke mich aus meinen Gedanken. ''Ja.'' Er nimmt meine Hand und führt mich einen kleinen Trampelpfad entlang durch ein kleines Palmenwäldchen. Am Ende des Pfades öffnet sich eine kleine einsame Bucht. Es sieht wunderschön aus. Kleine Wellen schlagen auf den Strand und lassen den Ort wie aus einem Traum erscheinen. ''Annie? Ich habe dich etwas gefragt.'' lacht Luke. ''Was? Oh.'' stammele ich. Luke lacht leise und fragt noch einmal: ''Kommst du mit ins Wasser?'' ''Ich habe keine Badesachen mit...'' ''Nicht schlimm. Bade in deiner Unterwäsche.'' antwortet er und zieht sich sein T-Shirt über den Kopf. Seine Hose folgt und schon steht er nur in Boxershorts vor mir. Langsam ziehe auch ich mein Oberteil und meine Hose aus. Nur in BH und Unterhose stehe ich Luke gegenüber, der mich hemmungslos anstarrt. ''Luke?'' ''Ähm..ja..sorry.'' stottert er und wird rot. Verschämt drehe ich mich um und beiße mir auf die Lippe, um nicht schon wieder zu weinen. Noch nie war ich zufrieden mit meinem Körper und seit dem Unfall noch weniger. Aber dass Luke mich so anstarrt hätte ich nicht erwartet. Ich dachte, er wäre anders.

depressed. l.h. (Teil 1)Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin